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Der "Fieseler-Storch", ein Flugzeug aus dem Kasseler Osten

Werbung für den Storch, Zeitschrift "Die Wehrmacht", 1942

Der "Fieseler-Storch" (FI 156) wurde ab 1935 im Fieselerwerk Lilienthalstr. 1 entwickelt.  Der „Storch“, ein propellergetriebenes Flugzeug, flog erstmals 1936. Er wurde eingesetzt als Verbindungs– Beobachtungs– und Sanitätsflugzeug. Seine Vorteile waren die ausgezeichnete Rundumsicht durch die großzügig verglaste Kabine und vor allem die guten Langsam– und STOL (Short Take- Off and Landing)-Eigenschaften (die Mindestfluggeschwindigkeit lag unter 50 km/h; zum Starten reichten bei Gegenwind 50 m, zum Landen 20 m). In Kassel wurden bis 1942 1993 Störche gebaut (Nagel), insgesamt knapp 3000.

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Ein Fieseler-Storch über Kassel. Foto: HNA

Karl Wills, der schon als Kind Modellflugzeuge baute, sammelt alles, was mit alten Flugzeugen zusammenhängt. So brachte er mir einen Stapel Zeitschriften „Flugzeug Classic“, die über mehrere Ausgaben über den „Fieseler Storch“, den FI 156,  berichteten.
Dieses Flugzeug war nicht das erste, das im Kasseler Osten entwickelt wurde, die meisten waren aber Segelflugzeuge. Damit begann auch Gerhard Fieseler  in einem Werk in Ihringshausen.
Der Kasseler Unternehmer Anatole Gobiet hatte den Mannheimer Flugzeugproduzenten Richard Dietrich nach Kassel geholt. Dieser produzierte zunächst in der Sandershäuser Str. Flugzeuge, später im Werk Gobiets in der Lilienthalstraße 1 (früher „Verlängerte Körnerstr.). Nach einer Insolvenz wurde das Unternehmen von den „Raab-Katzenstein-Flugzeugwerke“ übernommen, nach einer erneuten Insolvenz wurden die Gerhard Fieseler Flugzeugbau GmbH Eigentümer. Ab 1931 produzierte Fieseler dann Motorflugzeuge, so z. B. fünf Flugzeuge für die Zigarettenfabrik Bergmann als Werbeflugzeuge. Bereits 1934 beschäftigte er in der Lilienthalstr.1 1200 Menschen, um  Flugzeuge im Serienbau herzustellen.

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Serienproduktion bei der Firma Fieseler. Foto: Sammlung Urlen

1934 bekam er vom Luftfahrtministerium einen Entwicklungsauftrag, und was für ihn im Grunde noch wichtiger war, einen Vorschuss. Sein eigentliches Ziel war es, Flugzeuge für den privaten Luftverkehr zu bauen, aber zunächst produzierte er in Lizenz  Heinkel-Flugzeuge für das Reich. Bald schon arbeiteten bei ihm 500 Menschen, weitere wurden gesucht.
Jetzt ging es aber darum, ein vom Luftfahrtministerium ausgeschriebenes Flugzeug zu entwickeln, das später den Namen „Storch“ erhalten sollte und als der legendäre „Fieseler Storch“ in die Geschichte einging.
Ein Kampfpilot, der sonst eine schnelle Messerschmidt-Maschine flog, musste einen Storch überführen. Er schrieb: „Also so was Komisches, ich habe noch selten  beim Fliegen so viel und laut gelacht. Wenn da einmal der Wind 60 km/h hat, … dann kann man effektiv rückwärts fliegen, also so was Ulkiges“ (Flugzeug Classik, Nov. 2019, S. 40)

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Fieseler Storch. Foto: Sammlung Falk Urlen

 

Wie aber wurde die „ulkige“ Maschine entwickelt, gebaut und eingesetzt?
Der Auftrag des Reichsluftfahrtministeriums (RLM) war, ein Verbindungsflugzeug zu bauen, welches auf sehr kleinen und unebenen Plätzen starten und landen konnte. Der Storch sollte die Verbindung zwischen schnellen Panzerverbänden und dem oft weit dahinter liegenden Stab aufrechterhalten. Die Mindestgeschwindigkeit sollte unter 50 kmh liegen, drei Personen sollten hinein passen und Aufklärungsbilder sollten mit einer Handkamera nach unten möglich sein. Konstruktionserfahrungen hatte Fieseler bereits mit einem Vorgängerflugzeug, insofern war er der Konkurrenz etwas voraus und erhielt den Auftrag.

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Gerhard Fieseler mit Startpilot Heinrich Peter. Foto: Heinrich Peter

Fieseler selbst war kein Konstrukteur, das machten seine Mitarbeiter (Reinhold Mewes, Viktor Maugsch). Fieseler aber hatte flugtechnische Erfahrungen als Kunstflug-Weltmeister und viele Ideen. Bereits im Dezember 1935 stellte das Werk eine Holzattrappe vor, bei der aber bemängelt wurde, dass man nach unten nicht fotografieren konnte. Das wurde bei der zweiten Attrappe eingearbeitet, so dass einer Fertigung nichts im Wege stand. Bereits im Mai 1936 testete Fieseler selbst das Flugzeug auf dem Flugplatz Waldau und war begeistert von den Flugeigenschaften.

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Instrumentenbrett FI 156. Foto: Fieseler Zeitschrift Nr. 6, S. 9.

Der Motor war ein Argus As10 mit 12,7 l Hubraum und einer Startleistung von 240 PS. Die Testflüge konnten die Prüfer noch nicht zufriedenstellen, so dass noch viele Änderungen und Verbesserungen nötig waren, um allen Anforderungen genügen zu können. Die FI 156 war jetzt den Konkurrenzflugzeugen haushochüberlegen, zumal sie sofort produziert werden konnte, während die Konkurrenz noch entwickelte. Die Mindestgeschwindigkeit lag bei 50 km/h, das führte dazu, dass das Flugzeug bei entsprechendem Gegenwind sogar rückwärts fliegen konnte. Die Höchstgeschwindigkeit lag bei „lahmen“ 175 km/h, die Marschgeschwindigkeit bei 150 km/h. Mit steigender Höhe nahm die Leistung jedoch stark ab. Der Motor wog 232 kg und war 1,1 m lang, daher auch die lange „Schnauze“. Er verbrauchte pro Stunde ca.  60 Liter einfaches Benzin. Von diesem erfolgreichen Motor bauten die „Argus-Werke“ fast 30000 Stück.

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Rumpfgeruest aus geschweißtem Stahl (Flugzeug Classic, Okt. 2019, S. 55)

Der Rumpf bestand aus einem mit Stoff bespannten Stahlrohrgerüst. Bei den Tragflächen waren Holm und Rippen aus Holz, die Vorder– und Hinterkanten wurden mit Sperrholz verstärkt. Das Ganze wurde dann mit Stoff bespannt. Er wurde also mit einfachen Mitteln produziert. Die Flügel konnten nach hinten umgeklappt werden. Ein Autor schrieb über die FI 156: „Genial Einfach“.
Die Tanks fassten 74 Liter und wurden in den Flügeln, nahe am Rumpf, untergebracht. Später kamen noch 2 zusätzliche Tanks für 100 Liter dazu. Unter dem Rumpf konnte ein weiterer Tank angebracht werden.
Das Flugzeug hatte eine Spannweite von 14,25 m und eine Länge von 9,90 m und wog 935 kg. Es durfte eine Last von 385 kg bis 665 kg aufnehmen. Bei letzterem Gewicht ging die Geschwindigkeit auf 138 km/h zurück, entsprechend auch die Reichweite, die, je nach Tankbestückung, zwischen 300 und 740 km betrug.
Piekalkiewicz meint, weil Deutschland den FI 156 hatte, wurde hier kein  Hubschrauber entwickelt.

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FI 156 mit untergeschnalltem Zusatztank kurz vor dem Abflug (gesenkte hintere Flügelklappe, ausgefahrene Vorflügel), Motorabdeckung fehlt wegen heißer Witterung. Foto: Stadtteilzentrum Agathof

Zunächst wurde der Storch primär als Zivilflugzeug genutzt. Fieseler selbst hätte auch lieber Zivil- als Militärflugzeuge gebaut. Forschungsreisende kamen mit ihm in entlegenste Gebiete der Welt, er wurde angeboten an selbstfliegende Geschäftsleute, Ärzte und selbstfliegende Privatflieger, „die über keine große fliegerische Übung verfügten“. Überall dort, wo keine ausreichenden Rollfelder zur Verfügung standen, sollte er eingesetzt werden; ein Landwirt sollte von seiner Wiese aus in die nächste Großstadt aufbrechen können. Rundflüge mit großartiger Sicht waren prognostiziert.

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Der Storch als Sanitätsflugzeug, weiß mit rotem Kreuz. Foto: Sammlung Urlen

Wie wurde der Storch aber genutzt. Man nannte ihn auch den „Fliegenden Feldhernhügel“, also im wesentlichen militärisch. Erprobt wurde er 1939 bei der „Legion Condor“ im spanischen Bürgerkrieg auf seine „Praxistauglichkeit“. Alle Heeresführer wollten - auch wegen des Prestiges - einen solchen Flieger haben. Er war praktisch und auch ein Statussymbol. Die Regierenden verschenkten sogar einige an befreundete Staatoberhäupter. Selbst Churchill, Eisenhower und Montgomery nutzten ihn (Janusz Piekalkiewicz S. 195) mit Flugzeugen der französischen Luftwaffe 1945. Aufgrund seiner Flugeigenschaften konnte er auch als Kabelleger verwendet werden. Als Sanitätsflugzeug leistete er wertvolle Dienste.

 

 

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Churchill vor dem Storch in Frankreich. Foto: Internet

Eingesetzt wurde er aber zunächst zu Beginn des Zweiten Weltkriegs, 100 Störche beförderten in mehreren Flügen etwa 525 Soldaten über die Grenze nach Belgien, die dort den Einmarsch der deutschen Soldaten vorbereiteten. Es gibt dann viele Berichte, wie die Störche Menschen retteten, viele wurden als Verwundetentransporter eingesetzt. Die bekannteste Geschichte ist aber wahrscheinlich, wie ein waghalsiger Pilot den auf einem Berg (Gran Sasso) in 2100 m Höhe festgesetzten italienischen Diktator Mussolini befreite.

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Mussolinis Befreiung auf dem Gran Sasso in den Abruzzen. Foto: https://en.wikipedia.org/wiki/Gran_Sasso_raid

Bis 1942 wurde der Storch nur in Kassel gebaut. Hier entstanden 1993 Maschinen (Quelle: Nagel). Weil die Werke aber mit dem Lizenzbau der Focke-Wulf Fw190 (s. o. Serienbau) ausgelastet waren, wurde die Produktion jetzt nach Frankreich (bis 1945 784); in die  Tschechoslowakei (86 Stück) und Rumänien (bis nach 1945 ca. 80) verlegt.  Bis 1945 wurden knapp 3000  Fi156 produziert. An beiden ausländischen  Standorten wurde der Storch  nach Kriegsende weiter gebaut, in Frankreich jetzt mit einem starken Sternmotor.

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Storch aus Frankreich, mit Sternmotor. Foto: https://www.bredow-web.de/diverse_Flugtage/Fieseler_Storch/a_Fieseler_Storch5.jpg

Eine Weiterentwicklung war die FI 256, der „Superstorch“ 1939, von dem nur 10 oder 12 Exemplare gebaut wurden. Konzipiert war er als Fünf- bis Sechssitzer (Notsitz).Gedacht war er für die bald erwarteten Friedenszeiten als bequemes Privat- und Geschäftsflugzeug.

 

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Heinrich Peter macht als Startpilot die FI 256 bereit für den ersten Probeflug. Foto: Heinrich Peter

Auch nach 1945 hörte man Spektakuläres vom Storch. Im November 1946 stürzte ein amerikanisches Flugzeug auf dem Gauligletscher in der Schweiz ab. Nach einigen Tagen fand eine FI 156 die Absturzstelle, landete und rettete die Insassen. Das war die Geburtsstunde der alpinen Luftrettung schreibt der Autor in der Zeitschrift "Stern". Hier wurde ausführlich vom "Wunder auf dem Gauligletscher" berichtet (https://www.stern.de/reise/follow-me/fieseler-storch-in-den-alpen--das-wunder-vom-gauligletscher-7205044.html). Auf Luftschauen findet man dieses Flugzeug immer noch, so auch in Kassel-Calden, wo der ehemalige Startpilot Heinrich Peter (s. o.) noch einmal im Cockpit Platz nahm.

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Heinrich Peter auf einer Flugschau in Kassel-Calden noch einmal im Cockpit. Foto: Heinrich Peter

Piekalkiewicz schreibt in seinem Vorwort 2006: „Selbst Russen und Japaner haben während des Krieges versucht, den Storch nachzubauen. Und der Untergang des Dritten Reiches bedeutete keineswegs das Ende des Fieseler Storchs: Noch Jahre danach wurde er von der Armée de l‘air in den französischen Kolonialkriegen in Afrika und im Fernen Osten eingesetzt. Woanders wieder unterstützte er die Förster und Landwirte bei der Schädlingsbekämpfung, schleppte Segelflugzeuge und wurde als Luft-Taxi oder Rettungsflugzeug in den Alpen benutzt. Und noch heute ist er die Zierde mancher Luftschau“

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Schweizer Storch. Foto: https://i.pinimg.com/originals/f1/3d/1b/f13d1bc596144aecf775df6e300ae52b.png

 

Quellenhinweis

Fieseler, Gerhard; Meine Bahn am Himmel, München 1979
Holden, Nigel; Gerhard Fieseler, The man behind the Storch, 2017
N. Norden; Das Herz muß dabei sein, Kassel 1941
Nagel, Rolf; Thorsten Bauer; Kassel und die Luftfahrtindustrie seit 1923, Melsungen 2015
Nowarra, Heinz J.; Die deutsche Luftrüstung 1933 -1945, Koblenz 1993
Piekalkiewicz, Janusz; Die alte Tante und der Storch, Göppingen 2006
Wiederhold, Thorsten; Gerhard Fieseler - eine Karriere, Kassel 2003

Zeitschriften
Fieseler-Zeitschrift, Nr. 4 1940 bis Nr. 3 1942
Flugzeug Classic: Sep. 2019, Okt. 2019, Nov. 2019, Dez 2019, Mär. 2020

Autor und Editor: Falk Urlen nach Texten von Karl Wills
Interview: Karl Wills, Falk Urlen

Ohne die Hilfe von Karl Wills wäre dieser Beitrag nicht zustande gekommen.

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Kurzbeschreibung

Der "Fieseler-Storch" (FI 156) wurde ab 1935 im Fieselerwerk Lilienthalstr. 1 entwickelt und gebaut.  Der „Storch“, ein propellergetriebenes Flugzeug, flog erstmals 1936. Er wurde eingesetzt als Verbindungs– Beobachtungs– und Sanitätsflugzeug. Seine Vorteile waren die ausgezeichnete Rundumsicht durch die großzügig verglaste Kabine und vor allem die guten Langsam– und STOL (Short Take- Off and Landing)-Eigenschaften (die Mindestfluggeschwindigkeit lag unter 50 km/h; zum Starten reichten bei Gegenwind 50 m, zum Landen 20 m).

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