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Erfahrungen beim Wiederaufbau -Thema Geld-

Salzmannstraße, zerstörte Häuser, 1946

Salzmannstraße, zerstörte Häuser, 1946
Foto: Rolf Pabst

Durch die Bombardierung im zweiten Weltkrieg waren viele Wohnhäuser und Firmen im Kasseler Osten beschädigt oder ganz zerstört. Nach dem Krieg mangelt es vor allem an Wohnraum und alle mussten beim Wiederaufbau mit anfassen. Rolf Pabst, Jahrgang 1941, verbrachte seine Kindheit in der Salzmannstraße 12, im Oktober 1943 wurde auch sein heutiges Wohnhaus in der Huthstraße bis auf die Außenmauern zerstört und so schildert er hier seine  Erfahrungen als Schüler beim Wiederaufbau in Salzmannshausen.

"…Auch in Salzmannshausen war inzwischen damit begonnen worden, die beschädigten Häuser auszubessern, oder die Ruinen ganz abzureißen. Es waren gerade Sommerferien und wir Kinder hatten viel Zeit. Ein paar Freunde und ich beschlossen daher, beim Wiederaufbau mitzuhelfen.

Gemeinsam gingen wir zur Firma Salzmann, deren Wohnungsbaugesellschaft, wie bekannt, die Eigentümerin der Häuser war. An der Pförtnerloge trugen wir unser Anliegen vor. Wir wollten Schutt räumen und Steine klopfen.

Der Pförtner, ein Mann mit nur einem Bein, sprach ein paar Sätze in ein Telefon, nickte mit dem Kopf und teilte uns mit, dass der Herr Prokurist nichts dagegen hätte, wenn wir Aufräumarbeiten leisten würden.

Verwaltungsgebäude Salzmann
Das Verwaltungsgebäude der Firma Salzmann mit dem Eingang zur Pförtnerloge. Von dem Hauptwerk, Bettenhausen I, wurden im Zweiten Weltkrieg etwa 70% der Gebäude zerstört.  Foto: Firma Salzmann 1926

Froh gestimmt machten wir uns auf den Heimweg und malten uns aus, wie viel Süßigkeiten und Zigaretten wir uns von dem verdienten Geld leisten konnten. Selbst mehrere Besuche im neu eröffneten Filmtheater „Thalia“ in Bettenhausen waren dann möglich.

Wir suchten uns eine passende Ruine aus, ein kleineres völlig zerstörtes Eckhaus, Salzmannstrasse 9, und begannen sogleich mit unseren Händen und einem Hammer Backsteine auszubuddeln und zu bearbeiten. Auf dem Bürgersteig wurden die gereinigten Steine exakt aufgestapelt und die Arbeit ging flott voran. Neugierig fragten andere Kinder, ob sie mitmachen könnten, aber wir waren der Meinung, dass wir dann durch zu viele Leute teilen müssten. Also sollten sie sich eine andere Ruine suchen.

Als der Bürgersteig nach Tagen nahezu mit Steinstapeln zugestellt war, wir an Händen und Knien blutende Wunden, Risse und Blasen hatten, dachten wir, dass es an der Zeit wäre, uns unseren Lohn zu holen. Also machten wir uns wieder auf den Weg zum Werk Salzmann. Diesmal saß ein anderer Mann in der Pförtnerloge, der keine Ahnung von unserer Tätigkeit hatte. Trotzdem telefonierte er mit jemanden und sagte uns anschließend, die Firma würde sich um die Steine kümmern. Leicht verstimmt gingen wir nach Hause.Tatsächlich kam zwei Tage später der Lastwagen einer Abbruchfirma vorgefahren, drei Männer luden unsere Steine auf und fuhren mit ihnen davon.

Noch am selben Tag marschierten wir abermals zur Pförtnerloge und fragten nach unserem Geld. Der Einbeinige konnte sich gut an uns erinnern, meinte aber, dass der Herr Prokurist leider im Urlaub sei. Trotzdem nahm er das Telefon, stellte eine Verbindung her und reichte mir den Hörer durch das Sprechfenster. Das erste Mal in meinem Leben hatte ich ein Telefon in der Hand und stotterte etwas hinein. Am anderen Ende sagte eine Männerstimme, dass ihm nichts von einer finanziellen Vereinbarung bekannt sei, außerdem dürften sie gar keine Arbeit an Kinder vergeben und die Steine hätten wir ja freiwillig bearbeitet und die Firma hätte sie abholen lassen, weil sie auf dem Bürgersteig den Passanten im Wege standen. Dann legte er auf. Ich hatte Tränen in den Augen und meinen Freunden ging es genauso, nachdem ich ihnen erklärte, was ich gerade gehört hatte. Der einbeinige Pförtner hatte wohl Mitleid mit uns, denn er holte aus seiner Geldbörse eine Münze und gab sie uns. Es waren fünfzig Pfennige, was immerhin für einen Kinobesuch für einen von uns reichen würde.

Porträt Junge mit schwarzer Skimütze 1950
Rolf Pabst 1950  Foto: R. Pabst, Kassel

Diesmal gingen wir tief betrübt nach Hause und nahmen uns vor, die restliche Zeit der großen Ferien nicht mehr mit Arbeit zu verbringen. Beim Kaufmann Wachsmuth ließen wir uns das Geldstück wechseln und teilten die Barschaft brüderlich unter uns auf…."

Bis zum Jahr 1957 war der Wiederaufbau von Salzmannshausen abgeschlossen. In diesem Jahr vereinigten sich die Melsunger Gemeinnützige Baugesellschaft, mit der Kassel-Bettenhäuser Gemeinützigen Baugesellschaft, die von Salzmann bereits 1910 gegründete wurde, um die Verwaltung der Häuser zu übernehmen. Die überwiegende Zahl der Häuser in der Huthstraße sind 2010 in Privateigentum. Dies gilt auch für das Haus von Rolf Pabst in der Huthstraße 8.

Editor: Erhard Schaeffer, 2010

Quelle: Rolf Pabst, Neubeginn -Autobiografie einer Kindheit-, 2010

"Gesamtanlage Salzmannshausen", Denkmalbuch der Stadt Kassel, 1980

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Kurzbeschreibung

Hier erzählt Rolf Pabst, wie er als Schüler durch das Wegräumen von Trümmerschutt Anfang der 1950er Jahre in Salzmannshausen sein Taschengeld verdienen wollte.

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