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350 Jahre Forstgut in der Ochshäuser Straße
- Autor: Bernd Schaeffer
- Zeit: 1600-1649
- Ort: Ehemaliges Forstgut in der Ochshäuser Straße
- Vom: 05.05.2012
- Themen: Stadtentwicklung, Kommunale und staatliche Einrichtungen
Der Kasseler Forst umfasste das Gebiet, dass östlich der Fulda hinter der Unterneustadt begann und sich zwischen den Dörfern Waldau und Bettenhausen hinzog. Er reichte im Osten bis an die Grenze von Ochshausen. Diese Fläche wechselte in den vergangenen 500 Jahren mehrfach den Eigentümer und wurde auf vielfältige Art und Weise genutzt. Das Spektrum reicht vom Eichen bestandenen Waldstück über Truppenübungsplatz und Viehweide bis zur aktuellen Nutzung als Gewerbegebiet. Das Untere Forsthaus, 1616 erstmals erwähnt, diente im 17. Jahrhundert der Stadt Kassel als Verwaltungssitz zur Bewirtschaftung der angrenzenden Wald- und Weideflächen. In der 350jährigen Geschichte des Gebäudes an der Ochshäuser Straße 6, das 1972/73 abgerissen wurde, spiegelt sich auch ein Stück Bettenhäuser Geschichte wieder. Das Anwesen diente in der Zeit bis zum Zweiten Weltkrieg nicht nur der Forstverwaltung, sondern wurde Standort der Müllabfuhr, wandelte sich zur Wanderarbeitsstätte, beherbergte Wohnungslose und wurde letztlich auch zum Treffpunkt der Ortsgruppe der NSDAP von Waldau und Bettenhausen. Nach 1945, in den Zeiten großer Raumnot für die Kasseler Stadtverwaltung, zogen ein Altersheim, der städtische Kindergarten, das 7. Polizeirevier, die Volksbücherei, das Sozialamt, die Heilsarmee und die Bezirksstelle Ost in das schon betagte aber noch gut nutzbare Forstgut ein. Man kann also davon ausgehen, dass jeder Bettenhäuser Bürger, der ein Anliegen an die Stadtverwaltung hatte, sich irgendwann einmal in dem alten Forsthaus aufgehalten hat.
Der Kasseler Forst erstreckte sich östlich der Fulda und südlich des Siechenhofs, etwa vier Kilometer entlang der Leipziger Landstraße, begrenzt von den Dörfern Bettenhausen, Waldau und Ochshausen. Er war ein Königsbannforst, der wahrscheinlich mit dem Königshof zu Kassel und der Pfalz zu Oberkaufungen im engen Zusammenhang stand. Die Hoheitsrechte gingen 1247 auf die Landesherrschaft in Niederhessen, also auf das Haus Brabant, später in den Besitz der hessischen Landgrafen über. Zug um Zug kam der Forst in den Besitz der Stadt Kassel. Den Landgrafen verblieb lediglich das Recht, den Forst als Truppenübungsplatz der Kasseler Garnison zu nutzen. Bereits vor 1766 zerfiel der Forst in drei Teile: den großen oder unteren Forst, den kleineren oder oberen Forst und den Sauplatz.
Der Forst war, wie dem Namen zu entnehmen ist, ein Waldstück mit großem Eichenbestand in dem auch Gericht gehalten wurde. Ab 1564 wurde unter Landgraf Philipp dem Großmütigen und seinem Sohn Wilhelm IV der Forst vollständig entwaldet, um die 1552 erneuerte Festung Kassels zu stärken. Die Bürger Kassels konnten ab dieser Zeit gegen Zahlung eines Hutezins ihr Vieh dort unter Aufsicht von städtischen Hirten weiden lassen.
Seit 1821 diente der obere Forst für Schießübungen. Von 1775 an wurde auf dem oberen Forst eine Baumschule angelegt, die 1813 auf den Sauplatz verlegt wurde. Anfang des 19.Jahrhunderts, begann die Stadt einzelne Teile des großen Forst urbar zu machen. An der Grenze zur Leipziger Landstraße wurden Obstbäume gepflanzt und am Wahlebach eine Weidenpflanzung angelegt. Die weitere Bepflanzung scheiterte aber an dem Veto des kurhessischen Kriegsministeriums, das den unteren Forst weiter für Manöver nutzen wollte. Der Forst wurde bereits seit den 1730er Jahren als militärisches Übungsgelände genutzt. Vergleichsverhandlungen zogen sich bis 1857 hin mit dem Ergebnis, dass die militärischen Übungen auf einem ausgewiesenen Bereich des Forstes, ca. 390 Acker groß, auch weiterhin gestattet seien.
Das obere Forsthaus, am südöstlichen Ende des oberen Forstes gelegen, wurde bereits Anfang des 19. Jahrhunderts abgebrochen, da die damalige westfälische Regierung einen Platz für das Scharfschiessen suchte. 1809 wurden auf der alten Kasseler Richtstätte, auf dem Großen Forst, sechs Männer wegen ihres Widerstandes gegen das französische Besatzungsregime erschossen. Ein Denkmal am Waldauer Fußweg soll daran erinnern.
1821 nahm die kurhessische Artillerie diese Gepflogenheit wieder auf und bis 1875 wurde auf dem oberen Forst scharf geschossen.
1815 wurde das untere Forsthaus mit all seinem Zubehör an Heinrich Steinbach und seine Ehefrau auf Lebenszeit verpachtet. Dazu kamen in den Jahren 1817/18 Teile (82 Acker) des großen Forstes, sowie die 26 ½ Acker der großen städtischen Wiese, „die Sauer“. Ab 1818 wurde mit städtischer Genehmigung alles dem Landwirt Adam Müller und dessen Ehefrau aus Ochshausen weiter verpachtet.
Nach dem Tod des Erbleihepächters Steinbach verpachtete die Stadt von 1858 bis 1877 das Forsthaus mit Zubehör, die Forstschule und die Forstländereien an den Amtmann Jorns. Einer der letzten Pächter war Amtmann Knatz aus dem buttlarschen Dorf Elben. Ab 1877 entschloss sich die Stadt, das Forstgut unter einem Administrator selbst zu bewirtschaften. Es diente nun ausschließlich dem Fuhrpark des städtischen Abfuhrwesens zur Kehrrichtabfuhr. Daneben wurden Tonnenwagen mit den dazu gehörigen Pumpen zur Entleerung der Latrinengruben unterhalten. Die eingesammelten Fäkalien dienten zur Düngung der Ländereien auf dem Forst. Mit der Fertigstellung der Kanalisation in Kassel wurde der Betrieb des unteren Forsthauses als Latrinenabfuhr überflüssig. Durch die fortschreitende Bebauung des Forstes nahmen die Acker- und Weidefläche des Forstgutes stark ab.
Um die Wende des 19. / 20. Jahrhunderts wurde der Forst zunehmend für Großveranstaltungen wie Flugtagen, z. B. Etappenziel des Prinz-Heinrich-Flugs am 11. 5. 1913, und Verkaufsmessen, z. B. die 25. Jubiläumswanderausstellung vom 22. – 27. 6. 1911, genutzt.
Die zunehmende Zahl wohnungsloser Wanderarbeiter veranlasste die Stadt Kassel 1906 zur Gründung des „Vereins für Wanderfürsorge“. Im ehemaligen Forstgut in der Ochshäuser Straße wurde eine Wanderarbeitsstätte eingerichtet. Die Fürsorgestelle hatte etwa 120 Betten, wovon die Hälfte auf die Arbeiterkolonie entfiel. Wanderarbeiter, die des Wanderlebens müde waren und wieder in „geordnete“ Verhältnisse kommen wollten, wurden in diese Arbeiterkolonie aufgenommen. Neben der Verpflegung erhielten sie einen kleinen Tagelohn, der sie in die Lage versetzte, sich neu einzukleiden und sich kleine persönliche Dinge zu beschaffen. Sie konnten drei Monate verbleiben und hielten, wenn der Zuzug der Durchreisenden schwach war, den Betrieb in der Wanderarbeitsstätte aufrecht. Bei ihrer Entlassung hatten sie überwiegend eine Arbeitsstelle.
Bereits seit dem 16. Jahrhundert arbeiteten auf dem Forst zwei städtische Forstmänner. 1610 wurde das Obere Forsthaus mit Forstmann Reichart Kunß und 1616 das Untere Forsthaus mit Forstmann Henrich erstmalig erwähnt. Das Forsthaus mit dem dazu gehörigen Garten diente ihnen als Wohnhaus.
Aus Rechnungen aus dem Jahr 1520 geht hervor, dass die beiden im Sommer die Aufsicht über das auf die Weiden getriebene Vieh zu führen hatten. Die strengen Huterechte (Weiderechte) der Stadt Kassel mussten eingehalten werden. Die Stadt Kassel schloss mit einzelnen Einwohnern von Bettenhausen und Waldau Huteverträge ab. Bereits 1620 wurde der Landgräfin Juliane, der zweiten Gemahlin des Landgrafen Moritz, durch Vertrag das Weiden ihres Viehs vom Bettenhäuser Ringhof auf dem Forst gestattet. Dem Inspektor des Landkrankenhauses, der Charité, war es ab 1797 erlaubt, drei Kühe auf den Forst zu treiben und auch der Eigner des Messinghofs trieb gegen eine Gebühr sein Vieh mit der städtischen Herde auf den Forst. Zur Sicherung der Weideflächen waren unter Aufsicht der Forstmänner Gräben mit Aufschüttungen geschaffen worden und der Zugang mit Barrieren blockiert.
1775 wurde beim unteren Forsthaus eine Baumschule angelegt, die dann 1813 auf den Sauplatz, dem Gelände des späteren Gaswerks an der Nürnberger Straße, verlegt wurde.
Stadtbaumeister Johannes Wolff ließ in den 1780er Jahren das untere Forsthaus baulich erneuern und den Garten verschönern. Dem Geschmack der damaligen Zeit entsprechend wurde im Garten eine Sonnenuhr angelegt. Sie war bis in die 1930er Jahren erhalten und trug den Namen des Baumeisters Wolff und eine inzwischen unleserliche Jahreszahl, vermutlich 1785.
Bei der zweiten Hälfte der Wanderarbeiter handelte es sich um Personen, die mit dem Zug von einer anderen Wanderarbeitstätte kamen. Sie blieben in der Regel nur einen Tag und arbeiteten vormittags ca. 4 – 5 Stunden unter der Aufsicht der Arbeiterkolonie. Beschäftigt wurden sie mit Holzhacken, Haus- und Gartenarbeiten oder sie wurden zur Arbeitsleistung an Landwirte oder an die Stadt Kassel abgegeben. Konnte ihnen an diesem Tag keine feste Arbeit vermittelt werden oder sie fanden selbst keine Arbeit, wurden sie an die nächste Wanderarbeitsstätte übergeben. Ihre Arbeitspapiere wurden per Post an diese gesandt, sie selbst mussten mit dem Zug dorthin reisen. Mit der Meldung bei einer Wanderarbeitsstätte hatten die Wanderer den Vorteil, bei der damaligen strengen Gesetzeslage nicht als wohnungsloser Landstreicher zu gelten.
1925 schloss die Stadt Kassel mit dem „Evangelischen Verein für Innere Mission“ zu Kassel einen Vertrag und übertrug diesem ab dem 24.11.1924 die Unterhaltung und Verwaltung der städtischen Wanderarbeitsstätte.
Zum 1. 4. 1934 nahm die Stadt Kassel die Verwaltung zurück und übertrug sie zum 7. 3. 1935 dem „Verein für Volkswohl e. V. Kassel“. Die Wanderarbeitsstätte war zu diesem Zeitpunkt ein landwirtschaftlicher Betrieb mit ca. 30 Morgen Land, dem auch eine Holzzerkleinerungsanstalt angeschlossen war.
Es kamen immer weniger Wanderarbeiter in die Wanderarbeitsstätte. Der Betrieb wurde unrentabel und wurde ab 1. 1. 1939 vom „Verein für Volkswohl e. V. Kassel“ im Karlshospital verkleinert weiter geführt.
Die Stadt Kassel richtete anschließend in den frei gewordenen Räumen unter der Leitung einer Fürsorgerin eine Familienunterkunft für unterstützungsbedürftige Personen, die am Rande der Gesellschaft leben, ein.
Das neu eingerichtete Altersheim in der Ochshäuser Str. 6 wurde am 12.11.1946 der Öffentlichkeit übergeben. In weniger als eineinhalb Jahren waren unter Einbeziehung einer alten Scheune nach den Plänen von Bezirksamtsleiter Stöcker insgesamt 55 Räume geschaffen worden, darunter eine Krankenstation, ein großer Speisesaal sowie wohnliche Aufenthaltsräume, Bäder und eine Sauna. Das Altersheim blieb bis zum Jahr 1956 im ehemaligen Forstgut und wurde dann in den Faustmühlenweg 31 auf dem Lindenberg verlegt.
Ein langjähriger Mitarbeiter im ehemaligen Forstgut in der Ochshäuser Str. 6 war Heinrich Richter (geb. am 30. 4. 1900, gest. am 9. 6. 1967). Er wurde am 1. 1. 1927 als Buchhalter unter Inspektor Flöther, dem Leiter der Wanderarbeitsstätte, eingestellt und war vom 1. 4. 1934 bis zum 31.12.1938 selbst als Verwalter tätig. Seiner Ehefrau unterstand die Leitung der Küche. Nach Militär und Gefangenschaft sowie kurzzeitiger Beschäftigung bei einer anderen Firma übernahm Heinrich Richter am 30. 8. 1948 die Leitung des Altersheims in der Ochshäuser Str. 6 und war auch nach der Verlegung der Einrichtung in den Faustmühlenweg 31 bis zu seinem Ruhestand am 30. 4. 1965 als Heimleiter tätig.
Nutzung nach 1945
- Städtische Volksbücherei II
- Städt. Schulzahnklinik - Zweigpraxis
- Erich Döll, Zahnarzt
- Sozialamt - Altersheim Kassel-Bettenhausen
- Kindergarten der Stadt Kassel
- Bezirksamt XIII Bettenhausen
- Garage für städtische Dienstfahrzeuge
- Bezirksamt VII Ost (später Bezirksstelle 7 Ost)
- 7. Polizeirevier
- Mütterberatungsstelle
- Heilsarmee Männerheim
- Jugendgruppe „Die Falken"
Die Gebäude des ehemaligen Forstgutes in der Ochshäuser Str. 6 wurden 1969 an die Glanzstoff AG verkauft. Die vorhandene Nutzung erfolgte noch bis 1972. In dem Jahr wurde das von der Gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft (GWG) erbaute neue Nichtsesshaftenheim der Heilsarmee in der Eisenacher Straße seiner Bestimmung übergeben.
Für das Polizeirevier wurde in der Erfurter Straße ein Neubau errichtet.
Ende September / Anfang Oktober 1973 erfolgte der Abriss des ehemaligen Forstgutes. Die über 350jährige Nutzung des Gebäudes reflektiert einen Teil der Geschichte der Stadt Kassel und des Stadtteils Bettenhausen.
Text: K-P. Wieddekind, Kassel
Quellennachweis:
- Aus Vortrag des Geheimen Regierungs-Rath a. D. Fritsch auf der Monatsversammlung des Geschichtsvereins am 22. 2. 1897
- Vertrag der Stadt Kassel vom 20.5.1925
- Arbeitsvertrag Richter vom 28.12.1926
- Aus Kasseler Tageblatt vom 7. 8. 1927
- Aus Ev. Gemeindeblatt Bettenhausen vom Sept. 1934, Mai 1939, Autor Bruno Jacob
- Zeugnis Richter vom 31.12.1938
- Aus Kurhessische Landeszeitung, Pfingsten 1939
- Zeitungsausschnitt vom 13.11.1946
- Aus Hessische Allgemeine vom 2. 10. 1973
- Aus Katalog „Kasseler Wohlfahrtseinrichtungen 1900 – 1930“ des Stadtmuseums Kassel, 1993
- Adressbücher der Stadt Kassel von 1949 bis 1973/74
Editor: Bernd Schaeffer, Mai 2012/Dezember 2020
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Kurzbeschreibung
Der Kasseler Forst umfasste das Gebiet, dass östlich der Fulda hinter der Unterneustadt begann und sich zwischen den Dörfern Waldau und Bettenhausen hinzog. Er reichte im Osten bis an die Grenze von Ochshausen. Diese Fläche wechselte in den vergangenen 500 Jahren mehrfach den Eigentümer und wurde auf vielfältige Art und Weise genutzt. Das Spektrum reicht vom Eichen bestandenen Waldstück über Truppenübungsplatz und Viehweide bis zur aktuellen Nutzung als Gewerbegebiet. Das Untere Forsthaus, 1616 erstmals erwähnt, diente im 17. Jahrhundert der Stadt Kassel als Verwaltungssitz zur Bewirtschaftung der angrenzenden Wald- und Weideflächen. In der 350jährigen Geschichte des Gebäudes an der Ochshäuser Straße 6, das 1972/73 abgerissen wurde, spiegelt sich auch ein Stück Bettenhäuser Geschichte wieder. Das Anwesen diente in der Zeit bis zum Zweiten Weltkrieg nicht nur der Forstverwaltung, sondern wurde Standort der Müllabfuhr, wandelte sich zur Wanderarbeitsstätte, beherbergte Wohnungslose und wurde letztlich auch zum Treffpunkt der Ortsgruppe der NSDAP von Waldau und Bettenhausen. Nach 1945, in den Zeiten großer Raumnot für die Kasseler Stadtverwaltung, zogen ein Altersheim, der städtische Kindergarten, das 7. Polizeirevier, die Volksbücherei, das Sozialamt, die Heilsarmee und die Bezirksstelle Ost in das schon betagte aber noch gut nutzbare Forstgut ein. Man kann also davon ausgehen, dass jeder Bettenhäuser Bürger, der ein Anliegen an die Stadtverwaltung hatte, sich irgendwann einmal in dem alten Forsthaus aufgehalten hat.
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