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Unterneustädter Kirchplatz im Wandel der Zeit Teil 1 bis 1943
- Autor: Gerhard Böttcher
- Zeit: 1750-1799
- Ort: Unterneustadt
- Vom: 20.03.2016
- Themen: Stadtentwicklung, Kommunale und staatliche Einrichtungen
Der Unterneustädter Kirchplatz verdankt seine Entstehung dem Abriss der alten Kasseler Befestigungsanlage, die sich im 7-jährigen Krieg, nicht mehr als verteidigungstechnisch sicher erwies. Die heutige Namensgebung erhielt der Platz 1802 mit dem Bau der Unterneustädter Kirche, nach Abriss der Magdalenenkirche.
Mit dem Abriss der Mauer begann Landgraf Friedrich II. am 21. Dezember 1767, zum nächtlichen Schutz und zur Erhebung von Zöllen, ließ er kleine Schutzmauer um die Stadt ziehen. Mit der Zollmauer um die Unterneustadt wurde am 8. April 1768 begonnen. Die Mauer verlief am Außenrand des alten Grabens, beginnend an den Hinterhäusern der alten Leipziger Straße, dann hinter dem Waisenhausgarten an der jetzigen Maulbeerplantage zum Leipziger Platz, hin. Von da aus umschloss sie den Brückenkopf des Unterneustädter Tors und verlief hinter dem alten Gefängnis (später Elwe) bis zum Salztor (Salztorstraße) zur Wallstraße, aber diesmal am Innenrand zur Fulda hin. „Nach einer Verordnung des Landgrafen musste beiderseits der Mauer eine sechs Meter (20 Fuß) breite Straße verbleiben"
Nach der Schleifung der Alten Mauer entstand ein Platz, der seine ovale Form erst um die Wende des 18. Jahrhunderts, fand. Der Platz an der Ostseite bildete ein Oval, in das vier diagonal gegenüberliegende Straßen einmündeten. Ursprünglich stand auch eine rechteckige Form zur Diskussion. Eine weitere Straße, die Leipziger Straße verlief tangential zum Kirchplatz und stellte, zu dem späteren Holzmarkt, die Hauptverbindung von der Fuldabrücke zum Leipziger Tor.
Der Leipziger Platz wurde im Auftrag von Landgraf Friedrich II., von Louis du Ry entworfen. Die Ausführungen unterlagen damals Oberbaudirektor Heinrich Christoph Jussow.
Der erste Plan 1777 zeigt eine Halbkreisfunktionen in Richtung Osten zum Leipziger Tor, diese notwendige Eingangsabsicherung führte zeitgleich zum Bau des Dienstgebäudes des Platzmajor. Noch während des Neubaues erhielt die Kriegs- und Domänenkammer den Auftrag „ zu sorgen, daß die Anatomie am Leipziger Thor zu stand komme, damit in dem betreffenden Winter darinnen die Demonstration ihren Anfang nehmen können". 2
Am 14. August 1779, zum Geburtstag des Landgrafen, wurde mit der Einstellung von Sömmering, die Anatomie, (Bestandteil des Collegium Carolinum) eingeweiht. Die Anatomie, die wahrscheinlich auch von Louis Du Ry entworfen wurde, genoss unter der bürgerlichen Gesellschaft ein gewisses Ansehen, auf einer Tribüne konnte man gegen Entgelt die Demonstration von Sömmering und seinen Studenten, die Zergliederung toter Lebewesen, verfolgen
Die Beschäftigung mit der Osteologie veranlasste Goethe, am 5.10.1783 den Casseler Anatomen aufzusuchen, um seine Gunst und Gefälligkeit zu benutzen, um seine Studien an dem Elefanten, den er später zu Universität Jena transportieren lies, zu untersuchen.
Beim ersten Besuch im Casseler Anatomischen Theater, unternahmen auch Sömmering und Goethe, zusammen ihre Versuche mit gasgefüllten Ballons im Garten der Anatomie.
Die gegenüber dem Leipziger Tor stadteinwärts gebaute Anatomie (Bild links) hatte als Bauwerk eine dominierende Stellung am Platz. Die Entscheidung des Landgrafen das Collegium Carolinum in die Marburger Universität zu integrieren bedeutete auch das Ende der Anatomie. Das Gebäude wurde 1787 bis auf die Grundmauer abgerissen und in Marburg wieder aufgebaut. Eine Bitte der Unterneustädter Kirchengemeinde, das Gebäude der Gemeinde zu übertragen, wurde vom Landgrafen abgelehnt.
Das freie Grundstück wurde dem Baumeister Andreas Engelhard zugesprochen. Engelhard, geboren in der Unterneustadt und Baumeister der Wilhelmsbrücke, unterstand dem Hofbaumeister Jussow. Der sparsame architektonische Akzent des Platzes wurde optisch mit einer doppelten Baumreihe, auf Anordnung von Stadtbaumeister du Ry selbst, bepflanzt . Der Innenraum begrünt und mit einem hölzernen Geländer eingefasst.
Nach dem Abriss der Anatomie wurde der Platz in „Leipziger Platz" umbenannt. Mit dem Beginn der Amtszeit von Wilhelm IX. wurde die längst baufällige alte Brücke 1788 abgerissen und mit einem Neubau die neue Überquerung zum Altmarkt geschaffen. 1794 wurde die Wilhelmsbrücke eingeweiht.
Das Ziel war eine Straßenachse, für einen reibungslosen Verkehr zu ermöglichen. Dieser Verkehrsbegradigung stand allerdings die Magdalenenkirche im Wege und wurde folglich abgerissen. Es musste jetzt nicht nur ein Standort für eine neue Kirche, der Unterneustädter Kirchengemeinde gefunden werden, sondern auch die Achse vom Leipziger Platz zum neu entstandenen Marktplatz, zum späteren „Holzmarkt", geschaffen werden. Die Benennung in Magdalenenstraße war nur ein Trostpflaster, später war sie die Verlängerung der „neuen Leipziger Straße"
Mit dem Bau einer neuen Kirche tat sich Kurfürst Wilhelm I. recht schwer, schon die Kosten der neuen Brücke belasteten das Budget, so dass erst 1802 nach den Pläne von Jussow mit dem Bau der Unterneustädter Kirche begonnen wurde. Nach der Flucht von Kurfürst Wilhelm I., beim Einzug von Jerome, geriet der Bau ins Stocken. Als dann die westfälische Regierung die unvollendete Kirche als Futtermagazin beschlagnahmte, legte sich, - auf Bitten der Geistliche der Unterneustädter Gemeinde – König Jerome ins Mittel und veranlasste sogar die Fertigstellung der Kirche aus Staatsmitteln. Die Kirche wurde dann im Oktober 1808 als einfaches Gotteshaus eingeweiht.
In der Bildmitte die Unterneustädter Kirche, rechts halb verdeckt hinter der Kirche, das Gefangenenhaus. Hinter der Kirche rechts, halb verdeckt, das Haus von Baumeister Engelhard, der Baustil dokumentiert die Anatomie. Der stattliche dreigeschossige Massivbau - links neben der Kirche – ist das reformierte Waisenhaus, das unmittelbar an der Leipziger Straße liegt und in den Unterneustädter Kirchplatz einmündet. Links flankiert vom Pförtnerhaus und dem größeren Bau der Waisenhausdruckerei, die später in den „Sack" (Straße) verlegt wurde. Später befand sich, bis 1943 die bekannte Gastwirtschaft „zum Wilden Wasser", Unterneustädter Kirchplatz 6.
Die Bauweise der Tore, die in ihrer Breite zu wünschen übrig ließen, führten bald zu Beschwerden der städtischen Körperschaften und entwickelten sich immer mehr zu „Verkehrshindernissen”.Nicht nur das Tor auch die Mauern hatten eine kurze Lebensdauer, bereits 1834 wurde von Stadtbaumeister Rudolph Aufträge zum Abriss verschiedener Teile der Zollmauer vergeben. In der Unterneustadt wurde mit dem Abriss der Zollmauer vom Unterneustädter Kirchplatz bis zur Wallstraße begonnen. In der Maulbeerplantage bis zur Sternstraße wurden lediglich nur Durchbrüche der Zollmauer durchgeführt. Größere Strecken in der Maulbeerplantage und hinter dem Garten des Waisenhauses, sowie in der Wallstraße bis zur Fulda hin blieben aber stehen.
Obwohl die alten Tore erst 1866 abgerissen wurden, verlegte der Kurfürst schon viel früher die Zollerhebung vor der Leipziger Vorstadt am Forst. Dort wurde mit Schlagbaum und Zollhaus der Straßenzoll erhoben.
Mit dem Abriss des Tores und einem Teil der Mauer, setzte 1866 mit der Annektion der Preußen, eine rasante Bautätigkeit rund um den Platz, ein. Auf dem Grundstück des alten Stockhauses Nummer 11, entstand auf dem Grundstück, 1874–1876 das Hauptgebäude (in U-Form), die neue Justizanstalt III, im Volksmund „Elwe" genannt. Die späteren Nebengebäude der „Elwe" entstanden 1906.
Mit Hausnummer 13 folgte 1879 der Bau der damaligen Knaben–Freischule No. 7,- im Volksmund „Barfüßergymnasium" genannt. Ein zweiter Schulbau auf dem Grundstück, die Mädchenschule No. 8, wurde 1884 (postalisch Sommerweg), errichtet. Mit der Pferdebahn der Casseler-Stadt-Eisenbahn nach Bettenhausen, entwickelte sich der nordöstliche Teil des Platzes zu einer stark frequentierten Verkehrsader. Die Haltestelle Unterneustädter Kirchplatz, wurde zum Ausgang nach Bettenhausen hin, in die Leipziger Straße verlegt.
Der Platz in seiner Form nicht kreisrund, mit einer elypsenförmigen Anlage quer zu den alten Straßen der Unterneustadt angelegt, stellt im Adressbuch, ein gewisses Kuriosum dar. Die Straßenbezeichnungen rund um den Unterneustädter Kirchplatz, hatte im Adressbuch der Stadt Kassel, über lange Zeit drei verschiedene Einträge. Neue Leipziger Straße, Unterneustädter Kirchplatz und Leipziger Tor. Die nordöstliche Seite des Platzes findet man unter der Straßenbezeichnung Leipziger Straße Nummer 13-9. Im Adressbuch durchgehend vom Forst bis zum Holzmarkt, während die südwestliche Seite im Adressbuch unter Unterneustädter Kirchplatz Nummer 3–9 zu finden ist, No. 3 V. Polizeirevier, No. 4 Unterneustädter Kirche.
Während auf der nordöstliche Teil die Leipziger Straße, die Hauptverkehrstangente von der Innenstadt nach dem Kasseler Osten, eine der am stärksten belasteten Straßen der Stadt vor dem 2. Weltkrieg war, konnte man den südwestlichen Teil des Platzes fast als idyllisch bezeichnen. Hier fanden vor der Entstehung der Hessenkampfbahn, noch kleinere Leichtathletikwettkämpfe statt.
Bild links: Leipziger Straße vom Forst zum Kirchplatz, in der Mitte des Platzes die Kirche. Der vor der Kirche stehende Kiosk überlebte die Bombennacht 1943 und war nach Kriegsende noch in Betrieb. Das Foto ist um 1898 aufgenommen, da fuhr noch die Pferdebahn. Im Bild das 83er Husarenregiment auf dem Weg zu Fuldabrücke. Die Verkehrssituation war ein ständiges Diskussionsthema im Bezirksverein „Ostend", (Unterneustadt). 1930 stand schon eine Variante im Gespräch, die nach 1950 realisiert wurde. Eine fußläufige Straßenführung mitten durch den Platz, mit einer Verlegung der Haltestelle.
Der Unterneustädter Kirchplatz stand bei jedem größeren Hochwasser ständig unter Wasser. Im „Kurfürst" am Unterneustädter Kirchplatz Nummer 14 , es gehörte dem Zimmermeister Gehrhardt im Sommerweg. Um die Jahreswende 1924/25 überraschte in der Sylvesternacht ein Hochwasser die Gäste, als plötzlich die Türen durch Eisschollen in den Saal schwammen. Die etwa 150 Gäste wuchteten das Klavier auf die Bühne und konnten sich vor den langsam steigenden Wasser, teilweise ins höhere Stockwerk retten. Anschließend wurden sie mit Booten in ihre Wohnungen in der Unterneustadt gefahren.
Text: Gerhard Böttcher, März 2016
Editor: Erhard Schaeffer
Quellen:
Loch Chronik
Holtmeyer Band VI S. 565
Archiv Kirchengemeinde Unterneustadt
Simon Louis du Ry, Herausgeber Stadtsparkasse Kassel
Wolfgang Hermasdorf, "Ein Blick zurück aufs alte Kassel"
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Kurzbeschreibung
Der Unterneustädter Kirchplatz verdankt seine Entstehung dem Abriss der alten Kasseler Befestigungsanlage, die sich im 7-jährigen Krieg, nicht mehr als verteidigungstechnisch sicher erwies. Die heutige Namensgebung erhielt der Platz 1802 mit dem Bau der Unterneustädter Kirche, nach Abriss der Magdalenenkirche.
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