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Rettet Enka!
- Autor: Falk Urlen
- Zeit: 1982
- Ort: Industriegebiet Lilienthalstrasse/Wohnstrasse
- Vom: 24.08.2012
- Themen: Arbeiterbewegung, Menschen erzählen
1979 erhielt der Betriebsratvorsitzende Helmut Haase des Kasseler Enka-Betriebs die Mitteilung, dass das Werk mit seinen 844 Mitarbeitern geschlossen wird. Es begann ein ideenreicher Kampf von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die zusammen mit Bürgerinnen und Bürgern und der Bürgerinitiative "Arbeitsplätze bei ENKA retten" diese Schließung verhindern wollten. Es gelang ihnen lediglich, die Schließung hinauszuschieben und gute Sozialpläne durchzusetzen. Hannelore Diederich schildert die Entwicklung als Betroffene.
„Dein Arbeitsplatz bei der Spifa ist sicherer als der beim Staat“ hieß es früher bei der Bevölkerung. Das galt in Spitzenzeiten für mehr als 3.000 Beschäftigte. Die Arbeitsplätze wurden in der Familie weiter vererbt. Neben dem 'sicheren' Arbeitsplatz waren auch die Tariflöhne in der chemischen Industrie sehr gut. Ein weiterer Vorteil für die Forstfelder war, dass der Arbeitsplatz praktisch vor der Haustür lag. Und tolle Sozialleistungen gab es obendrein, wie z. B. Urlaub auf Betriebskosten in der Rhön, Bade- und Saunaeinrichtungen, Kantinenessen, Betriebsdarlehen.
Andererseits war die Zellwolle-Produktion der Wetterbericht für viele Kasseler; denn je nach Windrichtung konnte man die Spinnfaser „riechen“. Aus der Spinnfaser AG wurde bei der Übernahme durch die AKZO zunächst die Glanzstoff AG, dann die ENKA Glanzstoff AG und in 1978 die ENKA AG. Der "Glanz" ging 1976 verloren, weil wegen der weltweiten Überproduktion von Zellwolle diese Abteilung geschlossen wurde. Das war der Anfang vom Ende!
Am 26. 4. 1974 hatte ein Großbrand mit 10 Mio. DM Sachschaden einen Teil der Produktionsanlagen für DIOLEN-Fasern vernichtet. Die Fabrik wurde hochmodern wieder aufgebaut, dennoch kamen immer wieder Meldungen aus der Hauptverwaltung, dass es auf dem Weltmarkt jetzt auch Überkapazitäten bei synthetischen Fasern (DIOLEN/PERLON) gab. Wie aus heiterem Himmel traf den Betriebsratsvorsitzenden Helmut Haase am 05.12.1979 die Mitteilung der Wuppertaler Hauptverwaltung, dass von der Schließung des Werkes auszugehen sei. Nun begann ein beispielloser Arbeitskampf um die Erhaltung der 844 Arbeitsplätze. Von der Schließung waren nicht nur die Beschäftigten und ihre Familien betroffen, sondern auch Gewerbetreibende sowie Zulieferer aus dem Kasseler Osten.
Der interne Arbeitskampf zwischen Betriebsrat und Werksleitung wurde in anderen Dokumentationen hinreichend beschrieben, ich möchte hier die Probleme der Betroffenen schildern.
Mit einem Flugblatt forderte der Betriebsrat die Beschäftigten zur Besetzung des Betriebes ab 11.12.1980 auf. Das bedeutete: Die Beschäftigten verrichten ihre Arbeit, danach halten sie sich in den Aufenthaltsräumen auf. Die Familien werden durch das Organisationskomitee verständigt. Für Verpflegung und Schlafmöglichkeiten wurde ebenfalls gesorgt. Presse und Fernsehen berichteten deutschlandweit, natürlich interessierte das auch Reporter des DDR-Fersehens.
Unter den Beschäftigten waren besonders viele aus dem Stadtteil Forstfeld. Die Solidarität unter der Bevölkerung war groß.
Im Dezember 1981 - ein Jahr nach Bekanntgabe des Schließungsbeschlusses, wird die Bürgerinitiative 'Rettet Enka' gegründet, die im Verlauf des Arbeitskampfes mehr als 10.000 DM Spenden aus allen Teilen der Bundesrepublik sammelte. Damit wurden u. a. Plakataktionen, Flugblätter und Veranstaltungen finanziert.
Die Sprecher der Bürgerinitiative sind die Familienangehörige eines Mitarbeiters, Christl Grass, der Pfarrer der Immanuelkirche, Herbert Lucan, der Verlagskaufmann Karl-Heinz Mruck und der Betriebsangehörige Rudolf Ludwig. Die BI arbeitete eng mit dem Betriebsrat zusammen und wurde dort aktiv, wo der Betriebsrat aus rechtlichen Gründen nicht tätig werden konnte. Auch die Politik wird auf allen Ebenen aktiv. Ortsvorsteher Falk Urlen bittet den damaligen Ministerpräsidenten Holger Börner eindringlich um Hilfe. Mehrfach bittet der Magistrat und der Oberbürgermeister Hans Eichel den Vorstand und den Aufsichtsratsvorsitzenden um die Rücknahme der Schließungspläne.
Obwohl mehrfach Sanierungsvorschläge unterbreitet worden waren, ging der Vorstand nicht darauf ein. Der Vorstand wollte das damals verkehrsungünstig an der Zonengrenze gelegene Werk schließen. Es half weder die Rede der Sprecherin (sie hatte deswegen AKZO-Aktien gekauft) vor der Hauptversammlung, noch die fast 50 000 Unterschriften, die in Kassel gesammelt und danach von über 200 Bürgerinnen und Bürgern, die mit fünf Bussen nach Wuppertal gebracht worden waren, übergeben. Falk Urlen, der bei der Übergabe direkt dabei war: „Der Vorstand nahm die Kiste mit den Unterschriften und stellte sie neben sich. Das war’s“.
Die Aktivitäten des Betriebsrates und der BI fanden nicht nur Befürworter. Inzwischen gab es Gerüchte über einen Sozialplan. 'Gute Leute' freuten sich schon auf ihre Abfindung, um dann umgehend beim nächsten Arbeitgeber anzufangen.
Mit Schreiben der Werksleitung vom 18.11.1982 an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurde vom ENKA-Aufsichtsrat mitgeteilt: "Werk Kassel wird stillgelegt!“ In diesem Schreiben wird nochmals der Wechsel in ein anderes Werk oder, falls das nicht möglich ist, eine Abfindung angeboten. Die Schließung sollte stufenweise erfolgen.
Die ursprünglich vorgesehene frühere Schließung konnte durch das zähe Verhandeln des Betriebsrats unter Ausschöpfung aller Möglichkeiten nach dem Betriebsverfassungsgesetz und dem massiven Protest der Beschäftigten und der Bevölkerung auf den 30.06.84 hinausgezögert werden. Der Betriebsrat konnte für die noch verbliebenen Beschäftigten einen für die damalige Zeit außergewöhnlichen Sozialplan aushandeln. Ein Teil der Beschäftigten nahm die angebotene Versetzung an, ein anderer Teil wurde zu Wochenendheimfahrern.
Die anderen nahmen die Abfindung an, einige fanden neue Arbeitsplätze und ein großer Teil war für den Rest des Berufslebens arbeitslos ...
Die ENKA haben wir nicht gerettet, wir haben aber für die Betroffenen durch unsere Aktionen ein Optimum an sozialer Abfederung erreichen können.
Redaktion: Falk Urlen, August 2012
Bilder:
- Bettenhausen Archiv
- Privatarchiv H. Diederich
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Kurzbeschreibung
1979 erhielt der Betriebsratvorsitzende Helmut Haase des Kasseler Enka-Betriebs die Mitteilung, dass das Werk mit seinen 844 Mitarbeitern geschlossen wird. Es begann ein ideenreicher Kampf von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die zusammen mit Bürgerinnen und Bürgern und der Bürgerinitiative "Arbeitsplätze bei ENKA retten" diese Schließung verhindern wollten. Es gelang ihnen lediglich, die Schließung hinauszuschieben und gute Sozialpläne durchzusetzen. Hannelore Diederich schildert die Entwicklung als Betroffene.
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