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Mein Landjahr - Sophie Poppenhäger

Passfoto Sophie Poppenhäger 1941

Sophie Poppenhäger 1941, Ausweisbild
Foto: S. Poppenhäger

Sophie Poppenhäger wurde 1941 nach ihrem Volksschulabschluss in Waldau zu einem Landjahr eingezogen. Bei der Auswahl spielte die nationalsozialistische Ideologie eine Rolle. Großstadtkinder sollten von für das Regime schädlichen Einflüssen ferngehalten werden. Die Ausgewählten waren stolz darauf, ohne zu wissen, was der eigentliche Zweck war. Sie sollten Land- und Handarbeit kennen lernen, und vor allem: Gehorchen (Vgl. unten angeführtes Hitlerzitat).
Das Landjahr stand in Konkurrenz zum 1938 eingeführten Pflichtjahr. Von April 1941 bis Dezember 1941 absolvierte Sophie diese 8 Monate im Lager Rosenthal in Niederschlesien, nahe der tschechischen Grenze.

Kartenauschnit von Niederschlesien
Lager Rosenthal in Niederschlesien  Foto: Falk Urlen

Vorbemerkungen

Viele weis gekleidete Mädchen marschieren in Dreierreihen auf einer Straße, daneben Erzieherinen
Die Mädels marschieren  Foto: S. Poppenhäger

Als Vorläufer des „Landjahres“ war bereits in der Weimarer Republik  nach 1927 das Instrument der „Landhilfe“ als Maßnahme gegen Jugendarbeitslosigkeit eingeführt worden. Schulentlassene Jugendliche (nach 8 Jahren Volksschule) aus Großstädten konnten für die Dauer von mindestens 6 Monaten an Landwirte vermittelt werden.
Das wurde in der Zeit des Nationalsozialismus fortgeführt. Jugendliche zwischen 14 und 21 Jahren wurden auf freiwilliger Basis als Landhelfer an bäuerliche Betriebe vermittelt. Ab 1934 wurde das  zu einem acht Monate dauernden „Landjahr“ ausgeweitet und zur Pflicht erklärt. Es entwickelte sich zu einer staatlichen Erziehungseinrichtung, in der „ausgelesene Jungen und Mädel zu verantwortungsbewussten Deutschen“ – im nationalsozialistischen Sinne – erzogen werde sollten.
Die einberufenen Jugendlichen (meist 60 in einer Gruppe) wurden von April bis Dezember in angemieteten Gemeinschaftsunterkünften untergebracht. An drei bis vier Vormittagen wurde in der Landwirtschaft gearbeitet, in der Erntezeit auch ganztägig. Pro Tag erhielten sie 0,05 RM als Taschengeld (Ein kg Brot kostete 0,37 RM), das ihnen gutgeschrieben wurde. Sie konnten sich dafür u. a. Hygieneartikel kaufen, mit denen dann das Taschengeldkonto belastet wurde.
Der Aufenthalt wurde teilweise auf eine andere Ausbildung bzw. auf das „Pflichtjahr“ angerechnet. Ohne eines Nachweises von einem Land- oder Pflichtjahr bekamen die Jugendlichen keinen Ausbildungsplatz. In einer Broschüre wurde aufgezählt, was an Kleidung und sonstigen Utensilien mitzubringen war. Elternbesuche waren bis auf einen Elterntag unerwünscht. Vgl. u. a. Link.

Sophies Erinnerungen

Sophie (hinten, 3. v. l.) mit ihrer Gruppe von 13 Mädels
Sophie (hinten, 3. v. l.) mit ihrer Gruppe  Foto: S. Poppenhäger

Sophie war stationiert in Rosenthal (heute „Różanka“) in Niederschlesien, nahe der tschechischen Grenze. Die Mädchen fühlten sich geehrt, weil sie für dieses Landlager ausgewählt worden waren. Sie taten ihren Dienst, wurden ideologisch geschult und etwas streng behandelt, Sophie meint, dass da wohl auch etwas Schikane dabei war. So mussten sie abends, obwohl sie sehr müde waren, länger im Flur warten, bis die Vorgesetzte kam und die Meldung der Mädelschaftsältesten (Sophie) anhörte: "x Mädchen angetreten ...". Dann erst durften sie schlafen gehen. War der Spindinhalt nicht exakt aufeinander gelegt, konnte es vorkommen, dass er wieder ausgeschüttet wurde. Sie mussten sich nackt waschen, hatte eine noch einen Schlüpfer an, wurde der mit kaltem Wasser überschüttet. Mit anderen sprechen sollten sie nicht, schon gar nicht mit Jungen.
Wenn man das unten angeführte Hitler-Zitat liest, weiß man, dass das alles keine Schikane war, sondern wohl überlegte Maßnahmen, um das Ziel "Gehorsam" zu erreichen.

Mehre Mädels in weiser Sportkleidung hocken im Rasen
Beim Sport  Foto: Sophie Poppenhäger
9 Mädels in Uniform
Die Mädels in Uniform  Foto: Sophie Poppenhäger

Nach dem Abendessen gab es etwas Freizeit oder es wurden Texte diktiert, die aber nicht weiter besprochen wurden. Erst am Schluss des Landjahrs  erhielten die Mädchen diese Texte zurück, zusammen mit fast unleserlichen Vervielfältigungen zur Rassenkunde. Nach dem Interview mit Sophie habe ich den Eindruck, dass die Ausbilder wahrscheinlich nur ihre Pflicht taten, diktieren und Vervielfältigungen übergeben. Die Mädchen banden die Sammlung am Ende des Jahres zu einem schönen Heft und fügten ihre Fotos vom Landjahr dazu (Siehe Anhang).

Aus_Sophies_Diktierbuch.jpg
Aus Sophies Diktierheft: Es bleibt unser fester Entschluss, jedem einzelnen Deutschen, sei er wie er sei, einmal im Leben zur Handarbeit zu führen, damit er sie kennen lernt, damit er auch hier einst leichter befehlen kann, weil er selbst schon vorher gehorchen lernte. (Adolf Hitler)

Inhalte der Diktate waren:
- "Worte für die Fahne" mit Texten natürlich von Hitler, Göbbels und anderen NS-Größen, aber  auch von Friedrich dem Großen, Goethe, Schiller, Rückert, Nietzsche, Hölderlin.
- Danach werden Aufzeichnungen zur "deutschen Geschichte" gemacht, bei den Wikingern angefangen. Einen breiten Raum  nimmt die „Bauernschulung“ ein, eine Geschichte des Berufsstandes der Bauern. Ein weiteres Kapitel ist die „Kolonialschulung ('Deutsches Recht auf Kolonien')“. Als z. T. unleserliche Vervielfältigung: Rassenkunde mit den Rassegesetzgebungen.

3 Fotos bei der Getreideernte
Hilfe bei der Ernte  Foto: Sophie Poppenhäger

Arbeiten mussten die Mädchen beim Bauern auf dem Feld, zur Erntezeit ganztags.

4 Fotos von der Fahrt in Riesengebirge Gebäude und Mädels mit Rucksack
Große Fahrt ins Riesengebirge  Foto: Sophie Poppenhäger

Einmal gingen sie auch auf große Fahrt ins nahe gelegene Riesengebirge.

Im August durften dann die Eltern ihre Kinder einmal während des Landjahres besuchen, einen Tag und eine Nacht, auf eigene Kosten natürlich. Das war schlecht für die Kinder aus Kassel, für deren Eltern war die Fahrt nach Schlesien zu weit und auch zu teuer. Es kamen nur wenige Eltern aus der Umgebung zu Besuch. Die Mädchen zeigten, was sie gelernt hatten, so z. B. Gymnastik- und Sportübungen. Zuvor hatten sie den Tagesablauf geplant und sauber niedergeschrieben (Siehe Anhang).

die Mädels zeigen Gymnastik- und Sportübungen vo den Eltern
Elterntag  Foto: Sophie Poppenhäger

Heute meinte Sophie: "Es war schwer, aber geschadet hat es uns auch nicht".

Abschließend erhielt Sophie ihren ausgefüllten Landjahr-Ausweis, praktisch einen Nachweis des abgeleisteten Dienstes mit einem Führungszeugnis und dem Recht, eine Lehre anfangen zu dürfen. Sie begann dann eine kaufmännische Lehre bei Kaysan & Wagner in Bettenhausen. Um nach Kriegsende mit dem Fahrrad zu ihrer Arbeitsstelle zu gelangen, brauchte sie einen Ausweis, aus dem hervorging, dass ihr das Fahrrad auch gehört. Ein anderer erlaubte ihr, am 31. August 1946 außerhalb der Sperrzeit die Straße zu betreten,  Kosten 0,50 Mark (Ein Ei kostete 0,03 Mark, ein Liter Vollmilch 0,11 M).
 

Ausnahmeerlaubnis von der Sperrzeit August 1946
Ausnahmeerlaubnis von der Sperrzeit August 1946  Foto: Sophie Poppenhäger
Bescheinigung zur Benutzung des Fahrrades 1947
Bescheinigung 1947  Foto: Sophie Poppenhäger

Autor, Text und Interview: Falk Urlen (August 2021)

Links, um die Hintergründe besser zu verstehen:
de.wikipedia.org/wiki/Landjahr
www.weindorf-johannisberg.de/johannisberg/johannisberg_landjahr.htm

 

 

 

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Kurzbeschreibung

Sophie Poppenhäger wurde 1941 nach ihrem Volksschulabschluss in Waldau zu einem Landjahr eingezogen. Bei der Auswahl spielte die nationalsozialistische Ideologie eine Rolle. Großstadtkinder sollten von für das Regime schädlichen Einflüssen ferngehalten werden. Die Ausgewählten waren stolz darauf, ohne zu wissen, was der eigentliche Zweck war. Sie sollten Land- und Handarbeit kennen lernen, und vor allem: Gehorchen.
Das Landjahr stand in Konkurrenz zum 1938 eingeführten Pflichtjahr. Von April 1941 bis Dezember 1941 absolvierte Sophie diese 8 Monate im Lager Rosenthal in Niederschlesien, nahe der tschechischen Grenze.

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