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Kindheit in der Windhukstr. 11
- Autor: Falk Urlen
- Zeit: 1939
- Ort: Windhukstraße
- Vom: 10.03.2010
- Themen: Jugend- und Kindheitserinnerungen, Menschen erzählen
Kindheit in der Windhukstr. 11 von Gertrud Geier
Ich bin 1935 in der Bremer Straße, gleich neben der Synagoge geboren. Weil wir eine kinderreiche Familie waren, ich hatte noch drei Schwestern, bekamen wir eine große Neubauwohnung in der Windhukstraße 11. Es waren drei Zimmer und eine Wohnküche mit ca. 50 m2 Fläche. Das bedeutete aber andererseits, dass unsere Wohnung in der Bremer Straße wesentlich kleiner gewesen sein musste.
Der hier abgedruckte Plan stammt aus dem Internet von einem Haus gleicher Bauart, welches im Augenblick zum Verkauf steht, das „Zimmer 1“ waren damals 2 Zimmer, das waren unsere Kinderzimmer.
1939 starb meine Mutter bei der Geburt des fünften Kindes. Wir bekamen dann eine Hauswirtschafterin, die auch wiederum einen kleinen Jungen mitbrachte (links im Bild neben meinem Vater).
Im Haus lebten noch zwei weitere Familien, zusammen auf ca. 140 m2 14 Menschen, die sich Anfang der 40er Jahre zu einem gemeinsamen Foto zusammenfanden. Die Wohnung im ersten Stock hatte den gleichen Zuschnitt, wie unsere Paterrewohnung, während unter dem Dach noch eine ganz kleine Wohnung war. Wir waren aber glücklich und zufrieden, wir Kinder fühlten uns wohl. Rund um die Häuser wurden in Gärten Gemüse angebaut, jeder hatte vor seiner Wohnung eine Parzelle von ca. 50 m2, in der auch noch Kaninchen gehalten wurden.
Zur Schule mussten wir dann in Bettenhausen, wir gingen die Ochshäuser Str. hinunter, überquerten die Leipziger Str. am Leipziger Platz und gingen dann in den Backsteinbau. Hier gab es eine Schule für Mädchen und eine für Jungen. Das war für uns Kinder ein weiter Weg, noch weiter war es für die Kinder, die auf dem Lindenberg wohnten. Heute hätten es die Kinder leichter, sie könnten mit Bus oder Tram fahren, aber das gab es ja noch nicht. In diese Schule ging ich bis zum 8. Schuljahr. Beim Großangriff auf Kassel saßen wir in dem kleinen Keller, das Haus an der Ecke zur Ochshäuser Str., hier war der Kaufmann Schlitzberger, wurde von einer Bombe getroffen. Einmal waren wir im Kaufhof, da gab es Fliegeralarm, im Kaufhof war kein Platz mehr im Keller, so mussten wir bis zum Weinberg, wir waren noch nicht richtig da, fielen schon die ersten Bomben. Danach gab es dann den Kaufhof nicht mehr. Wir Kinder hatten viel Angst. Hinter uns das Haus wurde auch getroffen, da wurden wir dann in ein Dorf in der Nähe von Hünfeld evakuiert. Hier mussten wir in der Landwirtschaft helfen und auch hier überraschte uns ein Tiefflieger. Weil es die anderen auch so machten, warf ich mich in einen Graben. Danach stellten wir fest, dass der Bauer und sein Pferd tot waren, er konnte nicht so schnell weglaufen. Ein in der Nähe stehender Rot-Kreuz-Zug wurde auch rücksichtslos angegriffen. Als ich dann nach dem Krieg die ersten Flieger sah, bekam ich wieder große Angst, wie immer noch dann, wenn die Sirenen ertönten. Ich wundere mich heute manchmal, wegen welcher Belastungen Kinder heute als traumatisiert gelten. Ich habe heute noch den Brandgeruch von damals in der Nase. Mein Vater heiratete dann wieder, er selber aber war im Krieg.
In der Windhukstraße wohnte auch eine Familie, die war wohl etwas asozial, wir Kinder riefen deren Kindern hinterher, wenn ihr uns was tut, dann sagen wir es unserem Vater und dann kommt ihr ins KZ. Wenn wir als Kinder so etwas riefen, dann wundert es mich heute immer noch, wenn einige Menschen, die damals hier wohnten, behaupteten, sie hätten von den ganzen Gräueltaten der Nazis nichts gewusst. Auch am Wahlebach war ein Zwangsarbeiterlager, hier waren Russen in schwarz-weiß gestreiften Anzügen und bettelten uns um Kartoffelschalen an. Sie schnitzten Gegenständen, verzierten diese mit Brandmalereien und wollten diese gegen Nahrungsmittel tauschen, was natürlich streng verboten war.
Als die Amerikaner dann da waren, gab es abends ab 18 Uhr eine Ausgangssperre, eine Nachbarin wollte da nur mal über die Straße gehen, um eine Nachricht zu überbringen, schon wurde sie von der Polizei eingesperrt. Plünderungen gab es auch, die Deutschen mussten aus ihren Wohnungen, dann nahmen sich die Soldaten, was sie für wertvoll hielten oder was sie gebrauchen konnten. Hühner wurden weggefangen und gebraten.
Eine Gaststätte gab es bei uns dann nach dem Krieg in einer Baracke, die an der Ecke Söhrebahn/Ochshäuser Str. stand. Das Bild der Wirtin habe ich noch, der Wirt eröffnete später dann eine Gaststätte am Entenanger.
Ich musste dann, als mein Vater wieder aus dem Krieg zurück war, immer mal wieder für ihn ins Lettenlager, um Zigaretten zu kaufen, eine kostete 5 Reichsmark, das Geld war ja nichts mehr wert. Wir gingen dann einfach über die Söhrebahn, das Lager war ja nicht eingezäunt, und kunkelten mit den Bewohnern, die von den Amerikanern ernährt wurden und dadurch mehr hatten als wir. Andere nannten so etwas „Schwarzmarkt“.
Unser Aktionsradius war riesig, wir spielten im Eichwald, aber auch in den Fieseler-Werken 1 und 2, im letzteren pflückten wir Äpfel oder wir stoppelten Kartoffel in Waldau. Im Winter fuhren wir Schlitten durch die Eisenhammerstr., weil die so schön steil war. Wir legten auch Schottersteine auf die Söhrebahnschienen, um zu sehen, was passiert. Nachdem dann der Lokführer uns entdeckte und mit glühenden Kohlen nach uns warf, machten wir es nicht mehr.
1949 wurde ich in der Erlenfelder Barackenkirche von Pfarrer Laaf konfirmiert und lernte dann in Vollmarhausen bei der Firma Geis & Co., einer Wäschenäherei. Dorthin fuhr ich täglich mit der Söhrebahn.
Editor: Falk Urlen nach dem Bericht von Gertrud Geier
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Kurzbeschreibung
Gertrud Geier schildert ihre Jugend in der Windhukstr. 11, wo auf 140 qm 14 Menschen wohnten. Als kinderreiche Familie mit 4 Kindern erhielten sie hier 1939 einen Wohnungsneubau mit 50 qm Wohnfläche.
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