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Ich wäre lieber in die Jungenschule gegangen
- Autor: Erhard Schaeffer
- Zeit: 1948
- Ort: Bürgerschulen 25 und 26
- Vom: 18.12.2010
- Themen: Jugend- und Kindheitserinnerungen, Schulen und Kindergärten
Die Bürgerschule 26 wurde 1906 eingeweiht. Im Jahr 1913 ging im Nachbargebäude die Bürgerschule 25 in Betrieb. Da damals der Unterricht nach Geschlechtern getrennt erteilt wurde, hieß die Schule in der Eichwaldstraße fortan Mädchenschule und jene in der Osterholzstraße Jungenschule. Rolf Pabst, Jahrgang 1941, wohnte in seiner Kindheit in Salzmannshausen. Für ihn war die Schule in der Eichwaldstraße zuständig. An seinem ersten Schultag mußte er leider erfahren, daß diese den Namen „Mädchenschule“ trug.
Im April 1948 war dann der Tag gekommen, an dem ich in Bettenhausen in die Volksschule eingeschult werden sollte. Mit einer „Zuckertüte“ im Arm und meiner Mutter an der Hand begab ich mich auf den drei Kilometer langen Schulweg. So genau wusste ich eigentlich nicht, was ich in der Schule sollte. Meine Mutter hatte mir nur gesagt, ich müsse nun jeden Tag dorthin und dass ich schön aufpassen solle, damit ich lesen und schreiben lernen würde, weil das ganz wichtig für das spätere Leben wäre. Außerdem müsse ich dann ab morgen den Schulweg alleine gehen.
Auf dem Schulhof versammelten sich Kinder und Eltern und ein Fotograf knipste Bilder von jedem Kind. Nicht alle hatten eigene „Zuckertüten“. Für das Erinnerungsfoto bekamen diese eine Tüte von einem anderen Kind in den Arm gelegt. Traurig war nur, dass sie die Köstlichkeiten gleich wieder hergeben mussten, ohne davon etwas probieren zu dürfen. Allerdings bestand der Inhalt der bunten Papptüten sowieso hauptsächlich aus zusammengeknülltem Packpapier, denn niemand hatte das Geld für eine komplette süße Füllung. Dennoch reichten die Süßigkeiten aus, sich erstmals richtig damit voll zu stopfen. Jedenfalls war mir am Nachmittag nach dem ersten Schultag schlecht und am Abend hatte ich Durchfall. Das nächste Mal, wenn es wieder etwas Süßes geben sollte, würde ich mir mehr Zeit lassen, die Leckereien zu verspeisen. Das hatte ich mir zumindest vorgenommen.
Irgendwie erschien mir das riesige Schulgebäude etwas unheimlich und unübersichtlich. Die hohen Klassenzimmer mit den großen Fenstern, die breiten Treppen und halbdunklen Korridore mit Marmorplatten und Steinfliesen und vor allem die vielen Türen ließen uns Kinder ziemlich klein und verloren vorkommen. Im Klassenzimmer waren wir von einer jungen, hübschen Lehrerin begrüßt worden, während unsere Mütter draußen auf dem Flur warten mussten. Fräulein Kastner erzählte uns eine Geschichte mit einer sanften, ruhigen Stimme, fragte nach unseren Namen, und nach einer Stunde durften wir wieder mit unseren Müttern nach Hause gehen.
Dass ich mich auf den nächsten Schultag freute, lag wohl hauptsächlich an Fräulein Kastner, die ich unglaublich nett fand. Wir waren achtunddreißig Kinder in der Klasse, mehr als die Hälfte davon weiblichen Geschlechts. Ich war sehr enttäuscht, denn ausgerechnet ich mußte neben einem Mädel mit Zöpfen in einer gemeinsamen Bank sitzen. Von meinem Vater hatte ich gehört, Mädchen seien Heulsusen, feige und man könnte nichts mit ihnen anfangen. Neidisch blickte ich zu den anderen Jungs, die mich schadenfroh angrinsten.
Aus Salzmannshausen gingen achtzehn Kinder nach Bettenhausen in die beiden ersten Klassen. Einige wurden noch von ihren Müttern oder älteren Geschwistern begleitet und ich schloß mich ihnen an. Mit einem „Ranzen“ auf dem Rücken, Hemd und kurzer Hose, dafür aber mit langen Strümpfen, die mit Strumpfbändern an der Unterhose gehalten wurden, und hohen Schuhen an den Füßen, marschierte ich los. Die ersten 500 Meter verliefen längs der breiten Autostraße, dann an einer Nitag-Tankstelle und der alten Abdeckerei vorbei, wo es ziemlich streng roch. Weiter auf dem „Schwarzen Weg“ am Losseufer entlang und am langen Zaun eines großen Bauernhofes und einer Gärtnerei vorbei, bis zu den gewaltigen, roten Backsteingebäuden der Schulen. Beide Komplexe hatten den Krieg fast unbeschädigt überstanden.
Die großen asphaltierten Schulhöfe wurden durch eine Turnhalle voneinander getrennt. Denn wie überall in Deutschland waren Jungen und Mädchen bisher hier gesondert unterrichtet worden. Dies war nunmehr geändert worden, denn nun würden neue Maßstäbe gelten, fortschrittliches Denken und Toleranz sollten die alten, überholten Erziehungsmethoden ablösen. Aber trotz Gemeinschaftsunterricht hieß unsere Schule immer noch „Mädchenschule“ wie vor dem Krieg, sie wurde erst später in Eichwaldschule umbenannt.
Irgendwie, so dachte ich, wäre ich lieber in die „Jungenschule“ nebenan gegangen, obwohl da natürlich auch Mädchen waren. Jedenfalls störte mich der Name „Mädchenschule“…
Editor: Erhard Schaeffer, 2010
Quelle: Rolf Pabst, Neubeginn - Autobiografie einer Kindheit, 2010
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Kurzbeschreibung
In seinem Buch „Neubeginn“ schildert Rolf Pabst wie er 1948 in die Mädchenschule in der Eichwaldstraße 68 in Bettenhausen eingeschult wurde.
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