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Eine Weihnachtsgeschichte
- Autor: Erhard Schaeffer
- Zeit: 1947
- Ort: Blücherviertel
- Vom: 13.12.2017
- Themen: Weihnachten, Menschen erzählen
Christian Balcke hat fast sein ganzes Leben in der Unterneustadt von Kassel in der Blücherstraße gelebt. Hier hat er als Kleinkind die Bombenangriffe auf Kassel erlebt, wohnte und spielte in den Kriegstrümmern. Aus seinen Erinnerungen hat er Anekdoten aufgeschrieben und illustriert. Es entstand ein Tagebuch aus einer fast vergessenen Zeit von Krieg und Not in Deutschland. Eine Geschichte aus der Vorweihnachtszeit im Nachkriegs-Kassel wird hier erzählt.
„Das können wir auch“, so sprach Martina zu unserer Mutter. „Wir führen auch ein Krippenspiel auf, Friedrich schreibt den Text. Das wird ein schönes Weihnachtsgeschenk für euch Eltern, für Tante Lilein und Onkel Karl. Wir laden alle im Haus ein, das gibt eine Überraschung.“
Wir drei Geschwister einigten uns auf folgende Rollenaufteilung: Martina spielt Maria und den Engel, der den Hirten auf dem Feld erscheinen sollte. Friedrich spielt Josef und den 1. Hirten und ich spiele den Wirt und den 2. Hirten.
Die Bühne war der hintere Bereich unseres Wohnzimmers. Über der Wohnzimmertür hing ein großes Schild: Gasthaus zum Stern. Als Wirt musste ich mich dort verstecken. Das ging ganz gut hinter einem schweren Vorhang, der als Schutz gegen Zugluft dort angebracht war. Die Wohnzimmertür war undicht, das hohe Treppenhaus mit fehlenden Türen und Fenstern, hätte mit seiner Kaminwirkung die Wärme aus dem Wohnzimmer gesaugt. Durch einen Wandschirm von der Tür abgetrennt stand der Kohleofen und davor der Hocker für Maria. Neben dem Eckschrank gab es Platz für die Krippe. Die Krippe war eine kleine mit Heu gefüllte Holzkiste mit kreuzweise aufgenagelten Latten als Beine. Diese sehr labile Konstruktion war nur für die Bühne geeignet. Auf dem Fußboden verteilten wir reichlich Stroh, dass wir als Einstreu für unsere Ziege „Schwänli“ im Ziegenstall vorrätig hatten. Das gute Tier konnten wir leider nicht als Ochs oder Esel für die Aufführung verpflichten. Als Beleuchtung dienten Hindenburg-Lichter (heute Teelichter), die wir auf den Boden stellten. Das Schwierigste an dem Spiel war das Umkleiden. Bei mir als Wirt war das kein Problem, Schürze und Mütze ab, Bauchkissen raus und eine Decke als Hirte über die Schulter geworfen.
Friedrich als Joseph hatte da eher Probleme, denn er sollte mit Bart auftreten, wie wir ihn von Abbildungen und Gemälden kannten. Als Kopfbedeckung wählten wir den schwarzen, weichen, großen Hut, den unser Großvater als Mauermeister getragen hatte. Bei dem Engel konnten wir getrost auf Flügel verzichten, da die Aufführung in einem geschlossenen Raum stattfand. Es war also alles aufs Beste organisiert und auch geprobt.
Die Aufführung fand am vierten Advent statt. Voller Erwartung saßen die Zuschauer im dämmrigen Wohnzimmer. Da krachten furchtbare Schläge an die Wohnzimmertür, Joseph war ja ein Zimmermann. Er trat mit Maria ein und Maria begann: „Mann ich bin des Laufens müde, meine Glieder schmerzen mir.“ Joseph antwortete: „ Maria dort ist ein Gasthaus, lass uns mit dem Wirt sprechen. Hallo, Wirtschaft.“ Ich trat stampfend meinen Kissenbauch vorstreckend auf, wollte mit meiner Antwort beginnen, da klingelte es an der Flurtür Sturm. Aus dem Treppenhaus schallte die Stimme vom Tschäsche, es kann aber auch der Schirmel gewesen sein: „Christian eure Zäje is ussgerissen, se hippet im Treppenhaus rimme, gemacht hat se au schonn.“ Da mussten wir schnell handeln: „Verehrtes Publikum, sie haben jetzt die einmalige Gelegenheit mit Maria und Joseph das Lied - Es kommt ein Schiff geladen... - zu singen.“
Glücklicherweise hatte die Ziege ihr Lederhalsband um, so konnte ich sie die Treppe runter in den Stall zerren. Um die Kaffeebohnen zusammenzukehren, hatte ich gleich einen Besen aus der Küche mitgenommen, der Besenstiel half mir erst einmal die Ziege in den Stall zu treiben. Wir hatten noch mal großes Glück gehabt, was wäre wohl passiert, wenn die Ziege durch die angelehnte Wohnungstür in den Flur gekommen wäre, da stand ein Teller mit Plätzchen und anderem Naschwerk für die Hirten...
Als das Lied verklungen war, setzten wir unser Spiel fort, das Publikum spendete nicht nur Beifall, sondern auch in den Hut der Hirten, ein doppelter Erfolg.
Text und Grafik: Christian Balcke, 2017
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Kurzbeschreibung
Christian Balcke hat fast sein ganzes Leben in der Unterneustadt von Kassel in der Blücherstraße gelebt. Hier hat er als Kleinkind die Bombenangriffe auf Kassel erlebt, wohnte und spielte in den Kriegstrümmern. Aus seinen Erinnerungen hat er Anekdoten aufgeschrieben und illustriert. Es entstand ein Tagebuch aus einer fast vergessenen Zeit von Krieg und Not in Deutschland. Eine Geschichte aus der Vorweihnachtszeit im Nachkriegs-Kassel wird hier erzählt.
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