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Die Stockfabrik Rocholl von 1872 bis 1949 in Bettenhausen
- Autor: Erhard Schaeffer
- Zeit: 1850-1899
- Ort: Eisenhammer
- Vom: 19.06.2012
- Themen: Firmen- und Industriegeschichte, Industrie und Gewerbe
Ab 1872 wurde die Firma Rocholl als Fabrikationstätte von Spazier- und Schirmstöcken, gedrehten Horn- und Holzartikeln und Holzschneidemühle am Standort des ehemaligen Eisenhammers in der Leipziger Straße erfolgreich betrieben. Für den Absatz von Spitzenprodukten aus exotischen Edelhölzern mit kostbarem Elfenbein stand bis zum Ersten Weltkrieg die ganze Welt offen. Die Firma überstand in dritter Generation nach Absatzeinbrüchen in den 20er Jahren auch den Zweiten Weltkrieg, musste aber 1949 geschlossen werden.
Bereits seit 1845 wurde die Firma Ludwig Rocholl mit dem Fabrikgeschäft für Kurzwaren und Stöcke in Kassel in der ehemaligen Moltkestraße (davor am Wilhelmshöherthor) im Handelsregister geführt. Die Firma beschäftigte sich im Anfang mit dem Vertrieb von Kurzwaren, Stöcken, Pfeifen, Besen und Pinseln. Schon in der Kurhessischen Zeit beschränkte sich der Verkauf nicht nur auf Hessen, sondern ging weit über dessen Grenzen hinaus. Von Jahr zu Jahr vergrößerte sich das Unternehmen und man spezialisierte sich auf den Vertrieb von Stöcken. Nachdem 1866 Hessen preußisch wurde, begann die neue Regierung herrschaftliche Betriebe wie den Messinghof, den Kupferhammer und den Eisenhammer an Privatunternehmer zu verkaufen. So kam Ludwig Rocholl auf Grund seines Umsatzerfolges in die Lage, im Jahr 1872 eine Fabrikation von Stöcken im früheren "Eisenhammer" aufzunehmen. Die Anlage der alten Papiermühle bzw. des Eisenhammers verfügte damals noch über eine alte Holzschneidemühle von 1703, die durch die Wasserkraft der Losse angetrieben wurde.
1874 übergab Ludwig Phillip Ferdinand Rocholl (1817 – 1884) die Betriebe an seine beiden Neffen Oskar und Philipp Ludwig Rocholl. Das von Oskar Rocholl geführte Fabrikgeschäft in der Moltkestraße wurde 1895 an den Kaufmann Hans Wild verkauft, der es unter dem Namen "Oskar Rocholl Nachfolger" weiter führte. Er selbst wanderte nach Schweden aus.
Philipp Ludwig Rocholl (1851 – 1906) behielt den Betrieb in Bettenhausen. Seine guten Qualitätswaren fanden auch im Ausland ihren Absatz. 1897 waren ca. 300 und vor dem Ersten Weltkrieg sogar ca. 450 Arbeiter und Angestellte bei Rocholl beschäftigt. Neben einheimischen Rohmaterialien wurden Edelhölzer aus Übersee, die seltensten Hörner aus Indien und Südafrika, selbst Elfenbein von Elefanten- und Wahlfischzähnen für kostbare Spazierstöcke und Schirmgriffe verarbeitet. Für den Absatz solcher Produkte stand die ganze Welt offen. Das Werk verfügte über Dampf- und Wasserantrieb und eine Turbine. Philipp Ludwig Rocholls Sohn Ernst (1890 in Bettenhausen geboren) übernahm 1909 die Stockfabrik „Ludwig Rocholl und Co.“ als Inhaber. Syndikus der Firma wurde sein Bruder Dr. jur. Otto Erich Rocholl ( geb. 1885 in Bettenhausen, gest. 1963 Kassel) als Rechtsanwalt, Notar Mitbegründer der FDP in Kassel. Wegen seiner liberalen und antinationalsozialistischen Haltung verlor er in der NS-Zeit sein Notariat.
Die Geschäfte liefen auch nach dem Ersten Weltkrieg sehr gut weiter. Das Unternehmen eröffnete Nebenwerke im hannoverschen Moringen und Celle sowie im schwäbischen Waldhausen. Selbst in Brasilien gab es eine Firmenniederlassung in Bengalas bei Rio de Janeiro.
1922 konnte das Unternehmen auf sein 50jähriges Bestehen zurückblicken. Damals gehörten zu dem Firmensitz in Kassel zwei Betriebe, das Stammwerk I in der Leipziger Straße 351 und das Werk II in der Forstfeldstraße 5, das Unternehmen hatte ca. 550 Mann Belegschaft. Das Werk II in der Forstfeldstraße bestand von 1919 bis 1931. Bereits 1916 besaß Ernst Rocholl dort ein Miethaus. Die neu errichteten Lagerhallen lagen verkehrsgünstiger an der Waldkappeler Bahn um das benötigte Holz anzuliefern.
Von der Wirtschaftskrise und der Konkurrenz aus dem Ausland blieb auch die Firma Rocholl nicht verschont. Man setzt auf die Produktionsumstellung von Hand- zur Maschinenarbeit. Die Belegschaft wurde nach und nach verringert. Vor dem Zweiten Weltkrieg zählte der Betrieb noch 150 Mitarbeiter unter kaufmännischer Führung von Ernst Rocholl.
Der Gebäudekomplex, wie er bis 1928 fertiggestellt war, veränderte sich während des Zweiten Weltkrieges nicht und wurde auch nur wenig beschädigt. Nach dem Krieg bot sich die Firma als Bauschreinerei für den Wiederaufbau von Kassel an. Auf Grund des gestiegenen Bedarfs durch Kriegsversehrte wurde aber auch die Produktion von Stöcken am Standort Kassel weiter betrieben. 1946 entstand auf dem Nebengelände am Fischhausweg ein Werkstattgebäude für Schreinerarbeiten. 1948 hatte der Betrieb 17 Mitarbeiter. Bei einer Erweiterung von Kesselhaus und Kohleförderanlage sorgte die Verbreiterung der Leipziger Straße für Probleme. So wurden keine Veränderungen durchgeführt. Am 26.09.1948 wurde die Firma Rocholl nach einem Vergleich von der „Hessischen Werkstätte für Raumgestaltung GmbH“ übernommen. Bereits 1952 übernahmen die Vereinigten Landwarenkaufleute eGmbH den Betrieb zur Aufbewahrung und Trocknung von landwirtschaftlichen Produkten.
Der Nachkomme der Familie Wild, Hans Wild jr., betreibt am Stern in Kassel noch heute ein Ladengeschäft für Tabakwaren, Pfeifen, Schirme und Stöcke in der Unteren Königsstraße unter dem Namen Oskar Rocholl Nachf. GmbH & Co. KG.
Editor: Erhard Schaeffer, Oktober 2015
Quelle:
- Bruno Jacob, 100 Jahre Stockfabrik, 1935
- Denkmalschutzbehörde Stadt Kassel, Industriedenkmal Eisenhammer, 1997
- Beginn mit Stock und Pfeife, HNA Artikel 29.10.2015
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Kurzbeschreibung
Ab 1872 wurde die Firma Rocholl als Fabrikationstätte von Spazier- und Schirmstöcken, gedrehten Horn- und Holzartikeln und Holzschneidemühle am Standort des ehemaligen Eisenhammers in der Leipziger Straße erfolgreich betrieben. Für den Absatz von Spitzenprodukten aus exotischen Edelhölzern mit kostbarem Elfenbein stand bis zum Ersten Weltkrieg die ganze Welt offen. Die Firma überstand in dritter Generation nach Absatzeinbrüchen in den 20er Jahren auch den Zweiten Weltkrieg, musste aber 1949 geschlossen werden.
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