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Die „Schiebelei“ und der „Blücherhof“ – unvergessene Gaststätten des Blücherviertels

Ausschnitt aus Ansichtskarte 1930er Jahre

Ausschnitt aus Ansichtskarte 1930er Jahre
Foto: @Stadtteilzentrum Agathof e. V.

Anfang der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts befand sich auf dem Gartengelände zwischen der heutigen Maulbeerplantage und der Körnerstraße Schiebelers Garten, im Volksmund auch „Schieblei“ genannt, eine beliebte Stätte der Gastlichkeit. Die Schiebelei war ein großer Bier- und Konzertgarten. Nach dem Erwerb des Blücherviertels durch den Beamten-Wohnungs-Verein wurden ab 1909 auf diesem Gartengelände 103 Wohnungen erbaut. Auf dem Grund des bisherigen Konzertgartens entstand das Restaurant „Blücherhof“. Der folgende Beitrag beschreibt diese über die Unterneustadt hinaus beliebten Stätten der Gastlichkeit, die im Zweiten Weltkrieg unwiederbringlich zerstört wurden.

Schiebelers Garten gehörte dem bekannten Brauereibesitzer am Altmarkt Wilhelm Schiebeler jun.. Er besaß mehrere Gaststätten und Biergärten in Kassel. Im Weinbergfelsenkeller (spätere Bunkeranlage im Zweiten Weltkrieg) besaß er auch eine Eislagerhalle, die bereits bis 1867 ausgebaut wurde. Auf dem Gartenareal an der Maulbeerplantage standen eine große offene Halle die von „Schaubs Garten“ aus der Wolfschlucht erworben wurde, ein einstöckiges Hauptgebäude mit großen Saal und Ausschank und in der Mitte ein Tanzpavillon. Der Garten erstreckte sich z. T. mit hohen Bäumen bepflanzt bis zur Jahnstraße. Zum Tanzen kamen nicht nur die Bewohner der Unterneustadt sondern viele Soldaten der Kasseler Garnison. Zu Schiebelers Zeiten bewirtschafteten die Wirte Georg Himmelmann, Konrad Steinberger und Carl Kesthaus den Garten. Nach seinem Tod veräußert die Witwe 1890 die Wirtschaft an die Hessische Aktienbrauerei. Die Neuen Wirte hießen Johann Weiß und Ferdinand Preuße.

Als im Jahr 1905 der Beamten-Wohnungs-Verein das Gelände erwarb entstanden nach und nach 103 Wohnungen. Auch im Eigentum des Wohnungsvereins blieb Schiebelers-Gartenbetrieb zunächst erhalten. Wirt war der bekannte Georg Degenhardt. Als 1912 das große Wohnhaus Maulbeerplantage 25 mit den Gartenhäusern 25a, b und c an der Ecke Körnerstraße fertig gestellt war, übernahm er schließlich den neuen Blücherhof in diesem Haus. Die Gebäude aus Schiebelers Zeiten wichen der neuen Bebauung.

Wie auf dem obigen Foto zu erkennen gehörte zum Blücherhof auch ein kleiner Biergarten links neben dem Eingang zur Gaststätte. Hier konnten die Gäste an warmen Tagen ihre Speisen und Getränke im Freien genießen. Der Torbogen am rechten Bildrand führte über einen Durchgang zu den Gartenhäusern. Die Wohnung im Erdgeschoss dazwischen bewohnte der Wirt. Der Lehrer Heinrich Kurtz aus der Agathofschule Kassel-Bettenhausen bezog in den 20er Jahren auch eine Wohnung in diesem Haus. Nebenan in der Körnerstr. 8 wohnte Kurt Riebow,  Rektor der Hilfsschule III Kassel-Bettenhausen.

Gastraum des Blücherhofes in den 1930er Jahren
Gastraum des Blücherhofes in den 1930er Jahren  Foto: Stadtarchiv Kassel
Kasseler Altmarkt mit Rathaus, Wandmalerei im Blücherhof
Kasseler Altmarkt mit Rathaus, Wandmalerei im Blücherhof  Foto: Stadtarchiv Kassel

Den Gastraum des Blücherhofes zierten geschmackvolle Wandmalereien des Kunstmalers Walter Schliephake. Sie zeigten u. a.  den Kasseler Altmarkt mit Rathaus sowie die alte Fuldabrücke zwischen Fuldagasse und alter Leipziger Straße. Dem Namen des Lokals zu Ehren gab es auch ein Bild vom “Marschall Vorwärts“-Blücher. Zum Gasthaus gehörten ein großer Saal und darunter eine Kegelbahn. Mehrere Kegelklubs benutzten die Kegelbahn u. a. ein Klub von Herren der Firma Salzmann. Zu den Stammgästen zählten die vielen Beamten des Blücherviertels. Im weithin beliebten Lokal feierten viele Vereine ihre Feste. Anfang der 1920er Jahre übernahm Wilhelm Kaufmann, der zuvor in der Gaststätte „Zum Wilden Wasser“ in der Unterneustadt und in dem Gasthaus „Zur Spitze“ in der Sandershäuser Straße in Bettenhausen tätig war. Unter seiner Leitung war der Blücherhof ein bekanntes Speiselokal in dem auch montags geschlachtet und natürlich Schlachtefest gefeiert wurde.

Alte Fuldabrücke zwischen Fuldagasse und alter Leipziger Straße, Wandmalerei im Blücherhof
Alte Fuldabrücke zwischen Fuldagasse und alter Leipziger Straße, Wandmalerei im Blücherhof  Foto: Stadtarchiv Kassel

Am 22. Oktober 1943 zerstörten die Bomben 43 der 47 Häuser des Blücherviertels darunter auch den Blücherhof.

Die Straßennamen des Viertels blieben bis heute erhalten und erinnern an die Gründerzeit. Auf den Trümmergrundstücken wurden neue Wohnhäuser errichtet. Die Herderschule, die 1955 als erstes Gymnasium für Jungen und Mädchen in Kassel in den Räumen der Heinrich-Schütz-Schule gegründet wurde, zog 1960 als Reformgymnasium mit den Jahrgangsstufen 5–13 an ihren jetzigen Standort in die Maulbeerplantage auf das Areal des ehemaligen Schiebelers-Garten im Kasseler Osten um.

 

Editor: Erhard Schaeffer, Januar 2016

 

Quellen:

  • 50 Jahre Beamten-Wohnungs-Verein Kassel, 1939
  • Ein Blick zurück aufs alte Kassel, Wolfgang Hermsdorff, Band 5 1984
  • www.weinberggeschichte.de , Heinz Körner
  • www.herderschule-kassel.de
  • Stadtarchiv Kassel

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Kurzbeschreibung

Anfang der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts befand sich auf dem Gartengelände zwischen der heutigen Maulbeerplantage und der Körnerstraße Schiebelers Garten, im Volksmund auch „Schieblei“ genannt, eine beliebte Stätte der Gastlichkeit. Die Schiebelei war ein großer Bier- und Konzertgarten. Nach dem Erwerb des Blücherviertels durch den Beamten-Wohnungs-Verein wurden ab 1909 auf diesem Gartengelände 103 Wohnungen erbaut. Auf dem Grund des bisherigen Konzertgartens entstand das Restaurant „Blücherhof“. Der folgende Beitrag beschreibt diese über die Unterneustadt hinaus beliebten Stätten der Gastlichkeit, die im Zweiten Weltkrieg unwiederbringlich zerstört wurden.

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