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Heinrich Kraft, Matrose auf dem Hilfskreuzer „Pinguin“.

Heinrich Kraft in der Uniform eines Teilnehmers des Unteroffizierslehrgangs

Heinrich Kraft in der Uniform eines Teilnehmers des Unteroffizierslehrgangs
Foto: Album Schaeffer, Kassel

Fast jede deutschen Familie hat infolge des Zweiten Weltkriegs den Verlust eines geliebten Menschen beklagen. Ob als gefallener Soldat an der Ostfront, Betroffener eines Bombenangriffs oder Vermisster auf hoher See, die Liste der Opfer ist lang. In unserer Verwandtschaft traf es den 21jährigen Obergefreiten der Marine Heinrich Kraft, einem Vetter meiner Mutter, der schon in 1941 an Bord des Handelsstörkreuzer (HSK 33) „Pinguin“ nach einem Volltreffer im Indischen Ozean versank. Die fast elf Monate dauernde Fahrt auf der „Pinguin“ war sein einziger und letzter Kriegseinsatz. Die Seekriegsführung auf einem getarnten Schiff, ähnelte der Piraterie im staatlichem Auftrag und war ein Himmelfahrtskommando. Mit ihm starben 203 Gefangene und 342 Mann Besatzung sowie der Kapitän zur See Ernst-Felix Krüder. Auf der Spurensuche über das kurzen Leben des Heinrich Kraft, stieß ich auf die außergewöhnlichen Einsätzen des Hilfskreuzers HSK 5 während des Zweiten Weltkriegs.

Heinrich Kraft wurde am 21 Februar 1920 als Sohn von Marie und Jakob Kraft in der Emmichstraße 12 (heute Steinigkstraße) im Stadtteil Forstfeld geboren. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er in der Lossesiedlung. Ein Familienfoto aus 1938 zeigt ihn als Uniformträger anlässlich einer Familienfeier im Kreise seiner vielen Verwandten im Gasthaus „Zur Insel Helgoland“ in Bettenhausen.

Im Haus Leipziger Str. 263 verbrachte H. Kraft seine Jugend
Im Haus Leipziger Str. 263 verbrachte H. Kraft seine Jugend  Foto: AK aus Sammlung Knoke. Kassel

Nach einer Grundausbildung bei der Marine begann er seinen Kriegsdienst im Sommer 1940 an Bord des Handelsstörkreuzer HSK 5 (mit dem taktischen Namen „Schiff 33“).

Kapitän zur See Ernst-Felix Krüder
Kapitän zur See Ernst-Felix Krüder  Foto: Lexikon der Wehrmacht, https://www.lexikon-der-wehrmacht.de/Personenregister/K/KruederEF.htm

Dieses Schiff wurde 1936 als Fracht-Motorschiff bei der AG Weser in Bremen mit der Baunummer 917 gebaut und auf den Namen „Kandelfels“ getauft. Das Schiff der sogenannten „Ehrenfels-Klasse“ lief bis 1939 als Stückgutfrachter für die „Deutsche-Dampfschifffahrts-Gesellschaft-Hansa“. Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurde die „Kandelfels“ von der Kriegsmarine requiriert und bei der „Dechimag“ in Bremen zum Hilfskreuzer „HSK 5“ umgebaut. Schon während der Umbaumaßnahmen übernahm Kapitän zur See Ernst-Felix Krüder das Kommando über das Schiff und nannte es „Pinguin“, da der spätere Einsatz im Bereich der Antarktis, der Heimat dieses Schwimmvogels, geplant war.

Schiff 33 getarnt als Frachter
Schiff 33 getarnt als Frachter "Kassos" unter griechischer Flagge  Foto: http://www.geocities.ws/pentagon/2833/kriegsmarine/raider/pinguin/pinguinn3.jpg

Das Schiff war 155m lang, 18,7m breit und hatte einen Tiefgang von 8,7 Metern. Mit einem Raummaß von 7766 BRT wurde es von zwei Sechszylinder MAN-Dieselmotoren mit einer Gesamtleistung von 7600 PS (5590 kW) angetrieben. Der Frachter erreichte eine maximale Geschwindigkeit von 17 Knoten.

Beim Umbau zum Hilfskreuzer ab 1939 wurde die folgende Bewaffnung nachgerüstet:

  • 6           15cm Geschütze aus dem 1.Weltkrieg
  • 1           7,5cm Geschütz
  • 2           3,7cm Flugabwehrgeschütze (Flak)
  • 4           2cm Flak
  • 4           53,3cm Torpedorohre
  • 1           Wasserflugzeug der Marke Heinkel He 114, ab 15.03.1941 ersetzt durch Arado AR196-1, Reichweite ca. 700 km
  • 300       Minen
  • 25         Torpedos

Auf dem Schiff war Platz für insgesamt 420 Mann Besatzung, einschließlich eines Prisenkommandos*.

*Als Prisenkommando bezeichnete man im Seekrieg ein Enterkommando, dessen Aufgabe es war, die Papiere und die Ladung aufgebrachter (feindlicher und neutraler) Schiffe zu kontrollieren. Dafür wurden Seeleute speziell ausgebildet.

Genannt werden muss noch eine aufwendige Konstruktion, die es erlaubte, den Hilfskreuzer in kurzer Zeit als neutrales Frachtschiff zu tarnen und umzubenennen. Auch das an Bord befindliche einmotorige Wasserflugzeug war, mit angelegten Flügeln, verborgen untergebracht.

Die „Pinguin“ lief in der Nacht des 15. Juni 1940 getarnt als russisches Handelsschiff „Pechora“ aus dem Hafen von Gotenhafen in der Danziger Bucht aus. Neben Kommandant Kapitän zur See Ernst-Felix Krüder waren 13 Offiziere und 375 Unteroffiziere und Mannschaften an Bord; dazu noch 13 Offizier für die sogenannten Prisen-Kommandos. Mit an Bord war nach den archivierten Mannschaftslisten auch der Matrose Heinrich Kraft aus Kassel-Bettenhausen. Nach der Durchquerung der Dänemarkstraße erreichte sie ihr Einsatzgebiet, den Atlantik. Die erste Aufgabe war die Auffüllung aller Bestände des deutschen U-Boots „U-A“ durch ein Rendezvous-Manöver auf hoher See im Bereich der Kap Verden. Am 31. Juli 1940 versenkte sie als erstes Opfer den britischen Frachter „Domingo de Larrinaga“ im Atlantik, nachdem sich die Besatzung in die Rettungsboote begeben hatte.

 

Die Pinguin vor Anker im Indischen Ozean 1941
Die Pinguin vor Anker im Indischen Ozean 1941  Foto: https://en.wikipedia.org/wiki/German_auxiliary_cruiser_Pinguin#/media/File:Pinguin_(Indian_Ocean_1941).jpg

Der Einsatz zur Kaperung fremder Schiff verlief fast immer noch demselben Muster. Hatte die „Pinguin“ ein fremdes, ziviles Schiff durch Ausguck, Funk oder mit dem Wasserflugzeug entdeckt, näherte sie sich als Frachtschiff getarnt bis zur Reichweite der Geschütze oder der Torpedos. Erst dann wurden die kaschierenden Aufbauten entfernt und die deutsche Kriegsflagge gehisst. Die Mannschaft des fremden Schiffes wurde mit Flaggensignalen, meist unterstützt durch Warnschüsse vor den Bug, aufgefordert sich zu ergeben und in die Rettungsboote zu steigen und sich in Sicherheit zu bringen. Von dort wurden sie an Bord der „Pinguin“ gehievt und zu Kriegsgefangenen erklärt. Je nach Ladung wurde das feindliche Schiff mit einem Prisen-Kommando übernommen oder umgehend versenkt. Wegen dieser Vorgehensweise erhielten die Hilfskreuzer von den Engländern die Bezeichnung „Raider“, was übertragen so viel wie Seeräuber bedeutet.
Anfang August 1940 erreichte die „Pinguin“ ihr endgültiges Einsatzgebiet im Indischen Ozean. Hier hatte sie die vornehmliche Aufgabe den Warenverkehr auf den Handelsrouten des Britischen Empires nach Asien durch Vernichtung der Schiffe und ihrer Ladung zu stören. Am 27. August 1940 wurde der norwegisch Tanker „Filefjell“ aufgebracht. Zur Nutzung des Proviants und des Treibstoff ließ der Kapitän das Schiff als sogenannten Partner parallel zu seinem Kurs laufen und erreichte damit die Kontrolle über ein erweitertes Seegebiet. Mit dieser Taktik wurden am 28. August 1940 der britische Regierungstanker "Britisch Commander" und der norwegische Frachter "Moraviken" gestellt und versenkt, nachdem die Bestzungen ihre Schiffe verlassen hatten. Nach Übernahme der Schiffsdieselvorräte des Tankers „Filefjell“ wurde er samt seiner Ladung Flugbenzin auf Grund geschickt.
Die Pinguin kaperte am 16. September 1940 den norwegischen Frachter "Nordward" mit 7000t Getreide an Bord. Da dieses Schiff genügend Treibstoff und vor allem Unterbringungsmöglichkeiten für die aufgenommenen Gefangenen hatte, schickte es Kapitän Krüder als Prise unter deutscher Führung nach Deutschland. Mit an Bord waren die Feldpostbriefe der Besatzung mit der Feldpostnummer 09450 an die Lieben im der Heimat. Der Postversand wiederholte sich mit jedem Prisenkommando.
Das Operationsgebiet wurde danach in den nordöstlichen Indischen Ozean verlegt. Dort gelang es der Mannschaft der „Pinguin“ am 7. Oktober 1940 den norwegischen Tanker „Storstad“ aufzubringen. Der Tanker wurde auf See zum Hilfsminenleger umgebaut, auf den Namen „Passat“ getauft und mit Minen beladen. In den folgenden Wochen verlegten die beiden Schiffe vor den südöstlichen Häfen von Australien mehre 100 Seeminen. In der Zeit zwischen dem 7.11. und 5.12.1940 sanken nach dem Kontakt mit diesen Minen drei alliierte Handelsschiffe vor der Küste Australiens. Wieder zur „Storstad“ deklariert, lief das Schiff noch bis zum 9. Dezember 1940 parallel zur „Pinguin“ und diente der Besatzung als „zweites Auge“.
Dieser Taktik fielen weitere drei Handelsschiffe zum Opfer. Als Prise mit Gefangenen und Post an Bord verließ die „Storstad“ das Operationsgebiet und schlug sich nach Pauillac im besetzten Westfrankreich durch, wo sie am 4. Februar 1941 ankam.
Weihnachten 1940 trafen sich in dem über Funk vereinbarten Planquadrat „Andalusien“ (südwestlich von St. Helena) der Kreuzer „Admiral Scheer“, die Hilfskreuzer „Thor“ und „Pinguin“, der Tanker „Eurofeld“ und das Versorgungsschiff “Nordmark“. Dieses Zusammentreffen diente der Ergänzung der Vorräte und der Treibstoffe aller Beteiligten. Die Ladung des von der „Admiral Scheer“ am 18.12. 1940 aufgebrachten britischen Kühlschiffs „Duquesa“, nämlich 3000 t Rindfleisch und etwa 14.5 Millionen Eier, bildete eine willkommene Ergänzung der Vorräte. Kapitän zur See Ernst-Felix Krüder wurde am 22.12.1940 für seine Verdienste, Versenkung von 79 000 BRT feindliche Handelsschiffsraum, das Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes verliehen.
Der nächste Einsatz Ort lag in der Heimat der Pinguine, am Rande der Antarktis. Dort traf die „Pinguin“ Mitte Januar 1941 südwestlich der Bouvetinsel auf zwei Walkocher, ein Versorgungsschiff und elf Fangboote der Norweger und brachte sie in ihre Gewalt. Nachdem die Seekriegsleitung in Deutschland entschieden hatte, dass alle Schiffe als Prise nach Frankreich überführt werden sollten, mussten die dafür notwendigen Kommandos organisiert werden. Alle in der Nähe befindlichen deutschen Kriegs- und Versorgungsschiffe im Südatlantik wurden aufgefordert entsprechendes Personal abzustellen ohne die eigene Einsatzfähigkeit zu gefährden. Bei einem erneuten Treffen im Planquadrat „Andalusien“ wurde die Aufgaben verteilt und die Prisen zusammengestellt, die sich am 14. Januar 1941 in Richtung Bordeaux in Bewegung setzten. Ein Walkocher, ein Versorgungsschiff und neun Fangboote erreichten ihr Ziel Bordeaux in Europa.

Heinrich Kraft auf Wache während der Ausbildung
Heinrich Kraft auf Wache während der Ausbildung  Foto: Album Schaeffer, Kassel

Nach neun Monaten auf See, ca. 30 000 Seemeilen Fahrt und ohne Möglichkeit ein befreundetes Dock anzulaufen, wurden die beiden MAN-Dieselmotoren Anfang März 1941 mit Bordmitteln überholt. Außerdem wurde von der „Komet“ das neue Wasserflugzeug des Typs Arado AR196 übernommen und die Tanks mit Treibstoff aufgefüllt. Mitte März 1941 setzte die „Pinguin“ ihren Handelskrieg in dem Seegebiet vor dem italienischen Somaliland fort. Hier versenkte sie bis Ende April noch zwei britische Frachter mit Erz und Militärgütern.

 

An dieser Stelle im Indischen Ozean wurde die Pinguin am 8. Mai 1941 versenkt.
An dieser Stelle im Indischen Ozean wurde die Pinguin am 8. Mai 1941 versenkt.  Foto: Google Maps, https://www.google.com/maps/@4.8501828,60.0393763,2210838m/data=!3m1!1e3?hl=de&entry=ttu

Am 7. Mai 1941 kam es nördlich der Seychellen zu dem unheilbringenden Zusammentreffen mit dem Tanker „British Emperor“. Der tapfere Funker des Tankers konnte, noch bevor sein Schiff unterging, einen Funkspruch absetzen indem er den Beschuss durch die „Pinguin“ schilderte und seine Position durchgab. Der Funkspruch wurde von dem in Nähe befindlichen schweren britischen „Kreuzer Cornwall“ aufgefangen und ausgewertet. Das 30 Knoten schnelle Kriegsschiff nahm die Verfolgung auf und stellte die langsamere „Pinguin“ am 8. Mai 1941. Im folgenden Gefecht gelang es der Mannschaft des Hilfskreuzers zwar noch das Heck des Kreuzers durch Beschuss zu beschädigen, doch die erste Salve aus den 20,3 cm Rohren des Gegners traf die über 100 Minen im Laderaum unter der Luke 5 der „Pinguin“. Die folgende Detonation zerriss das Schiff worauf es um 16:29 Uhr versank. 203 Gefangene und 342 Mann Besatzung sowie der Kommandant Kapitän Ernst-Felix Krüder gingen mit dem Schiff unter. Von den Engländern wurden drei Offiziere, drei Bootleute, sieben Maate, 47 Gasten (Matrosen), acht britische Offiziere und 15 Inder gerettet und an Bord genommen. Der Bettenhäuser Obergefreite Heinrich Kraft, Neffe meiner Mutter, verlor im Alter von 21 Jahren bei diesem Seegefecht sein Leben.

Zeitungsmeldung über die posthume Verleihung des Eichenlaubs zum Ritterkreuz an E-F. Krüder.
Zeitungsmeldung über die posthume Verleihung des Eichenlaubs zum Ritterkreuz an E-F. Krüder.  Foto: Zeitungsausschnitt Stuttgarter neues Tagblatt vom 17.12.1941

Die drei von den Engländern geretteten deutschen Offiziere berichteten nach dem Krieg als Zeitzeugen von den erfolgreichen Kaperfahrten des Hilfskreuzers. Ihre Schilderungen dienten verschiedenen Autoren als Grundlage für ihre Bücher.
Die „Pinguin“ fuhr unter dem Kommando von Ernst-Felix Krüder in 328 Tagen 59 000 Seemeilen, mehr als zweimal um den Erdball. Auf dieser Route versenkte oder kaperte die Besatzung 32 Schiffe mit einem Volumen von mehr als 150 000 BRT. Dafür bekam E-F. Krüder am 15.11.1941 posthum das Eichenlaub zum Ritterkreuz.
Die „Cornwall“ lief nach dem Gefecht den Hafen von Durban in Südafrika an. Dort wurden die deutschen Gefangenen von Bord gelassen und das beschädigte Heck repariert.
Der Einsatz der „Pinguin“ zeugt von einem bedeutenden Kapitel des deutschen Seekrieges im Zweiten Weltkrieg. Dem Autor war es wichtig, an die vielen gefallenen Soldaten ohne Auszeichnung zu erinnern und ihnen durch den Obergefreiten Heinrich Kraft ein Gesicht zu geben.

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Kurzbeschreibung

Fast jede deutschen Familie hat infolge des Zweiten Weltkriegs den Verlust eines geliebten Menschen beklagen. Ob als gefallener Soldat an der Ostfront, Betroffener eines Bombenangriffs oder Vermisster auf hoher See, die Liste der Opfer ist lang. In unserer Verwandtschaft traf es den 21jährigen Obergefreiten der Marine Heinrich Kraft, einem Vetter meiner Mutter, der schon in 1941 an Bord des Handelsstörkreuzer (HSK 33) „Pinguin“ nach einem Volltreffer im Indischen Ozean versank. Die fast elf Monate dauernde Fahrt auf der „Pinguin“ war sein einziger und letzter Kriegseinsatz. Die Seekriegsführung auf einem getarnten Schiff, ähnelte der Piraterie im staatlichem Auftrag und war ein Himmelfahrtskommando. Mit ihm starben 203 Gefangene und 342 Mann Besatzung sowie der Kapitän zur See Ernst-Felix Krüder. Auf der Spurensuche über das kurzen Leben des Heinrich Kraft, stieß ich auf die außergewöhnlichen Einsätzen des Hilfskreuzers HSK 5 während des Zweiten Weltkriegs.

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