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„Radio Forstfeld“ und „60+-“ im Freien Radio Kassel aus der Salzmann-Fabrik

Der Verein "Freies Radio Kassel", gegründet im Wesentlichen von Studierenden der Kasseler Universität, begann im Frühjahr 1997 seinen Sendebetrieb in den Räumen der alten Salzmann-Fabrik in der Sandershäuser Straße. Der Forstfelder Ortsvorsteher Falk Urlen gehörte zu den Gründungsmitgliedern, er sah hier eine Möglichkeit, Forstfelder Bürgerinnen und Bürger mit einer Sendung, die er "Radio Forstfeld" nannte, noch intensiver über das Geschehen im Kasseler Ortsteil Forstfeld zu informieren, als es mit der bereits etablierten Ortsteilzeitung "Forstfelder kleine Zeitung" möglich war. Daneben produzierte er eine Musiksendung, die sich an die ältere Generation der damals 60-jährigen wandte: "60+-". Er schildert in diesem Beitrag den Beginn, die Technik und die Hintergründe dieser Sendung. Im Anhang finden Interessierte die sehr  ausführliche Niederschrift eines Interviews, das Simon Meding vom Campusradio mit dem Geschäftsführer Frank Weißenborn führte, und das von Dennis Schaeffer aufgeschrieben wurde:  Die wilden Zeiten des Freien Radios Kassel.

Radio war in Deutschland immer staatlich geregelt und überwacht, z. T. auch von den Regierenden beherrscht. Im "Telegrafengesetz" von 1892 bereits hieß es: „Das Recht, Telegrafenanlagen für die Vermittlung von Nachrichten zu errichten und zu betreiben, steht ausschließlich dem Reiche zu.“ Vereinzelt gab es Versuche, etwas mit selbst gebastelten „Schwarzsendern“ zu senden, diese wurden aber schnell aufgespürt, abgeschaltet und die Personen bestraft. Als ich als Jugendlicher 1956 mit einem Freund in Holland war, war ich überrascht, dass man, zwar über Mittelsmänner,  Musikwünsche auf solchen Sendern erfüllt bekam. Später in den 60er Jahren hörten wir beim Camping an der holländischen Küste gerne „Radio Veronika“, der Sender war auf einem Schiff, das außerhalb der Hoheitsgrenzen der Niederlande stationiert war. Hier hörte man die neuesten Hits, wie wie es uns gefiel und was wir in Deutschland vermissten. Bei deutschen Hitparaden wurde auch noch in die Songs „hineingequatscht“, damit die paar Leute, die ein Tonbandgerät hatten, sie ja nicht vollständig aufnehmen konnten. Die Schallplattenindustrie nahm hier wahrscheinlich starken Einfluss, um mehr Tonträger zu verkaufen. Im NWDR (Nordwestdeutscher Rundfunk, heute NDR und WDR)) konnte man am Samstag um 14:00 Uhr ein paar Schlager hören, die vorher schon in der Rundfunkzeitung angekündigt worden waren oder im Hessischen Rundfunk spielte man aktuelle Hits, jedoch praktisch nur, um Werbung damit zu tansportieren. Sonst mussten die jungen Leute auf die amerikanischen oder englischen Soldatensender ausweichen, dort, wo sie zu empfangen waren. Ein Lichtblick war Chris Howland, der die richtige Musik für junge Leute machte, verbunden mit lockeren Sprüchen und privaten Infos. Damals hätte ich auch gerne einmal eine solche Sendungen produziert und gesendet, was natürlich unmöglich war - bis zum Frühjahr 1997, als in Hessen Lizenzen für freie Radiosender vergeben wurden.

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Die allerletzten Reste des Freien Radios in der Sandershäuser Straße im Jahr 2024, Foto: Urlen

Einer davon war „Freies Radio Kassel“. Studierende (ASTA) hatten die organisatorischen Voraussetzungen dafür geschaffen und einen Verein gegründet. Mein Sohn Marc Urlen war einer der ersten Vorsitzenden. Eine Sendelizenz  für Welle 105,8 wurde zugewiesen, Räume in der Salzmann-Fabrik angemietet und mit dem Sendebetrieb begonnen. Die Möbel stammten zum großen Teil aus einem Studienseminar, in dem ich stellvertretender Leiter war und einen Umzug organisierte. Statt die alten Möbel zu entsorgen wurden sie in die Salzmann-Fabrik gebracht. Baustudenten errichteten aus Lehmziegeln schalldichte Studios. Gut dabei war, dass die Decken in dieser Fabrik für schwere Maschinen vorgesehen waren. Nach etwas chaotischem Anfang wurde der Betrieb dann aber immer geregelter und geordneter mit einer Programmvorschau und festen Sendeplätzen.

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Minidisc (Größenvergleich: AA-Batterie)  Foto: Wikipedia

Auch die Anfänge der Sendung „Radio Forstfeld“ begannen einfach. Man hätte zwar die Sendungen in der Sandershäuser Straße bei Salzmanns produzieren können, das war aber doch ziemlich kompliziert mit großen Tonbandmaschinen. Die Bänder mussten manuell geschnitten und geklebt werden. Da kam eine neue Entwicklung von Sony mit der „Minidisc“ und entsprechenden Recordern gerade recht. Mit diesen kleinen Geräten konnte man aufnehmen und schneiden. Das war zwar auch etwas kompliziert, aber gegenüber der Arbeit mit Tonbändern nach einigem Training recht einfach. So produzierte ich Sendungen u. a. auch bei  Bus- und Eisenbahnfahrten, die dann auf Minidiscs zum  Radio gebracht wurden. Alle 14 Tage an Samstagen ging eine Produktion am Nachmittag auf Sendung, die dann am nächsten Montagvormittag wiederholt wurde. Wenn das Material aus Forstfeld nicht ganz reichte, wurde der Rest mit Musik aufgefüllt.

 

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Falk Urlen produziert in seinem "Ton-Studio" eine Sendung für das Freie Radio Kassel  Foto: I. Urlen

Für mich als Ortsvorsteher von Kassel-Forstfeld war das die Möglichkeit, unsere Bürger*innen am politischen Geschehen noch intensiver teilnehmen zu lassen, als es mit der „Forstfeder kleinen Zeitung“ möglich war. Diese Zeitung war eine bunte Zusammenstellung von Nachrichten, Berichten und Anekdoten aus dem Kasseler Ortsteil Forstfeld, die von unseren Bürgerinnen und Bürgern gern gelesen und auch mitgestaltet wurde. Mir ging es darum, unsere Hörer ungefiltert zu informieren. Zunächst hatte ich die Berichte aus dem Ortsbeirat für die Lokalzeitung noch selber geschrieben, später kamen dann Redakteure zu den Sitzungen und man hatte keinen Einfluss mehr auf das, was dann in der Zeitung zu lesen war.

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Auf dem Foto führe ich 1999 ein Interview mit der Sozialdezernentin Ilona Caroli, die für das Amt der Kasseler Oberbürgermeisterin kandidierte. 

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Minidiscplayer von Sony  Foto: Wikipedia

Die Minidisc war aber nur eine Episode in der Geschichte der Firma Sony, die sich nicht durchsetzen konnte; daneben gab es ja schon die CD, die inzwischen beschreibbar war. Daneben wurden die digitalen Speicher immer kleiner und preiswerter. Folgerichtig gab es dann in den Zehner-Jahren dieses Jahrhunderts bald mobile digitale Aufnahmegeräte, die mehrere Stunden auf einer  äußerlich kleinen Speicherkarte aufnehmen konnten. Mit einem solchen „ZOOM-Gerät“ wurde die Arbeit dann weiter vereinfacht. Man nahm ein Interview digital auf, übertrug es dann in den Computer und erstellte mit einem Audio-Programm, das jetzt auch erschwinglich - aber noch nicht billig - war am Computer den Radiobeitrag und schickte ihn dann via Email zum  Radio in die Sandershäuser Straße.

 

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ZOOM-Digitalrecorder und Speicherkarte (Größenvergleich: AA-Batterie)  Foto: Urlen

Zwischen diesen 14 Tagen war dann aber auch noch ein Sendeplatz frei, und da erfüllte ich mir den Jugendtraum vom eigenen Radiosender. Da ich fast 60 Jahre alt war, produzierte ich eine weitere 14-tägliche Sendung mit Musik aus der Kindheit und Jugend der damals 60-jährigen und nannte die Sendung dann auch folgerichtig „60+-“, also Musik für Menschen, die damals ca. 60 Jahre alt waren mit Musik, die man in der Jugend im Radio gehört hatte: Operettenmelodien, Hans Albers, Friedel Hensch und die Cyprys, Bully Buhlan, Elvis Presley, Peter Alexander, Bill Haley, Udo Jürgens, Johnny Cash, um nur einige zu nennen. Heute (2024) wäre eine solche Sendung gar nicht mehr notwendig; um nochmal die alten Schlager zu hören, streamt man das gewünschte Lied einfach aus dem Internet, manche Dienste bieten 400.000 Titel an. Das Internet gab es damals erst in Anfängen, man musste Beiträge teuer, weil langwierig, mit einem Telefonmodem herunterladen, wobei die meisten Beiträge noch in Englisch waren. YouTube gab es erst ab 2005. Im Freien Radio gab es keine Musiksammlung, es war Aufgabe der  Redakteure, sich ihre Musik selber zu beschaffen. Frank Weißenborn, der von Anfang an Geschäftsführer des Freien Radios war, hatte  bereits privat eine große Sammlung von Tonträgern, ich hatte zwar auch schon viele Vinyl-Platten, aber das reichte nicht. Ich kaufte Musikzusammenstellungen auf CD und dann viele, viele Vinylplatten auf Flohmärkten, die ich alle digitalisierte. Gegen Ende der Sendungen, ungefähr 2010,  war daraus eine Sammlung von ca. 15000 digitalisierten Musiktiteln geworden, eine ganze große Festplatte voll. Meine über 5000 Vinylplatten gingen dann leider im Hochwasser des Wahlebachs 2019 unter, nur gut, dass ich sie alle im Computer hatte. Die Gebühren für die GEMA wurde von der Landesmedienanstalt aus dem Topf der Rundfunkgebühren bezahlt.

Für den Sendeplatz „60+-“ produzierte ich rund 200 Sendungen, die ich dann auch noch einmal wiederholte und dabei nur die Ansage veränderte. Beim Schröderplatzfest in Forstfeld und beim Sommerfest im Agathof machte ich „Wunschkonzerte“; aus meinem Fundus konnte ich auch alle Wünsche erfüllen, da der Zugriff auf die Festplatte ja schnell und einfach war. Radio Forstfeld produzierte ich von 1997 bis 2011. Hier hatte ich viele Interviews mit Forstfelder Bürger*innen durchgeführt, die ich dann ab 2009 hier in „Erinnerungen im Netz (EriN)“ als Beiträge umarbeitete und z. T. auch die Originalinterviews einarbeiten konnte, zunächst über einen eigenen Server in Wiesbaden, später bis jetzt über YouTube.  Insofern war es auch möglich, bisher ca. 170 Beiträge ins Netz zu stellen, viele übernommen aus der „Forstfelder kleinen Zeitung“ und „Radio Forstfeld“.

Wenn es Sie interessiert, wie das „Freie Radio Kassel“ begonnen hat, können Sie das im Anhang wiedergegebene Interview vom 17.01.2023, das Simon Meding von der Sendung „Campus Radio“ mit dem Geschäftsführer Frank Weißenborn führte, nachlesen. Hier schildert Weißenborn die wilden Zeiten des Freien Radios Kassel. In Textform übertragen hat es Dennis Schaeffer.

Autor und Redaktion: Falk Urlen (Januar 2024)

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Kurzbeschreibung

Der Verein "Freies Radio Kassel", gegründet im Wesentlichen von Studierenden der Kasseler Universität, begann im Frühjahr 1997 seinen Sendebetrieb in den Räumen der altenSalzmann-Fabrik in der Sandershäuser Straße. Der Forstfelder Ortsvorsteher Falk Urlen gehörte zu den Gründungsmitgliedern, er sah hier eine Möglichkeit, Forstfelder Bürgerinnen und Bürger mit einer Sendung, die er "Radio Forstfeld" nannte, noch intensiver über das Geschehen im Kasseler Ortsteil Forstfeld zu informieren, als es mit der bereits etablierten Ortsteilzeitung "Forstfelder kleine Zeitung" möglich war. Daneben produzierte er eine Musiksendung, die sich an die ältere Generation der damals 60jährigen wandte, "60+-". Er schildert in diesem Beitrag den Beginn, die Technik und die Hintergründe dieser Sendung. Im Anhang finden Interessierte die sehr  ausführliche Niederschrift eines Interviews, das Simon Meding vom Campusradio mit dem Geschäftsführer Frank Weißenborn führte, und das von Dennis Schaeffer aufgeschrieben wurde. 

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