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Perspektiven eines Platzes

Leipziger Platz nördliche Kante, im Vordergrund Rabatte mit gelben Blumen, im Hintergrund Baustelle mit Abrissbagger

Leipziger Platz nördliche Kante nach Abriss der Gebäude Dormannweg 9 und 7, 2023
Foto: Sabine Wachsmuth

Der Leipziger Platz in Bettenhausen ist im Jahr 2023 wegen eines Streits um die Bepflanzung ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt. Über diese ,Rabatten-Debatteʻ geriet ein anderes Thema in den Hintergrund: der Abriss zweier historischer Gebäude und da mit die Zerstörung der ursprünglichen nördlichen Platzkante. Ein Anlass, sich mit diesem Ort zu beschäftigen.

Noch zu Ende des 19. Jahrhunderts war der Leipziger Platz am Rand des damaligen Dorfes Bettenhausen nicht viel mehr als eine Straßengabelung zwischen der überregionalen Handelsroute Leipziger Straße und der Landgrafenstraße (später Stiftstraße, heute Dormannweg), die zur ehemaligen katholischen Kapelle und der Worch'schen Mahlmühle, ab 1897 Engelhardt'sche Blaudruckerei, führte; außerdem zweigte die Ochshäuser Straße hier ab.

Fa. Kaysan und Wagner, Leipziger Str. 170, 1950
Gebaeude Fa. Kaysan und Wagner am Leipziger Platz, 1950  Foto: A. Kulla, Kassel

In dem Zwickel zwischen der Leipziger und der Ochshäuser Straße stand das Gebäude der 2. Bettenhäuser Schule von 1872 (später Nutzung durch Firma Kaysan & Wagner); an der Ecke Leipziger / Burgstraße befanden sich das Gasthaus Belz, die "Colonialwarenhandlung" von Heinrich Viereck und die Schreinerei Salomon. In dem Fachwerkhaus auf der anderen Seite der Leipziger Straße (heute Leipziger Straße 158) war bis 1879 die Post untergebracht, danach hatte hier eine Eisengroßhandlung ihren Sitz. Auf dem Gelände rechts daneben, gegenüber der Einmündung der Neuen Straße (heute Osterholzstraße), existierte von 1849 bis 1883 der zweite Bettenhäuser Friedhof, anschließend das "Thonwaarenwerk Bettenhausen".

Leipziger Platz, 1910
Stiftstraße 3 bis 5, ~1910  Foto: Bettenhausenarchiv Agathof

Mit der zunehmenden Industrialisierung wuchs die Bevölkerung Bettenhausens, und um die Jahrhundertwende entstanden an der nördlichen Seite des Leipziger Platzes die Wohn- und Geschäftshäuser Stiftstraße 1 des Metzgermeisters Johannes Schmelz und Stiftstraße 9 des Schreinermeisters Wilhelm Brencher, kurz vor der Eingemeindung Bettenhausens nach Kassel 1906 die Stiftstraße 7 des Schreiners Johannes Lengemann. Mit dem Bau des Hauses Stiftstraße 3 im Jahr 1907 wurde die Platzkante geschlossen; hier betrieb der Schneider Heinrich Heckmann sein "Herrengarderoben-Geschäft", außerdem Julius Liphard ein "Kurz- und Weißwaren-Geschäft". Inzwischen war mit der Anlage der Pfarrstraße um 1904 aus der Straßengabelung ein Platz entstanden; in das etwa 1906 erbaute Eckhaus Leipziger Straße 211 / Pfarrstraße zog das "Gasthaus zur Römerhalle" ein.

Stiftstraße 3 heute: Dormannweg
Stiftstraße 3 bis 5, ~1920  Foto: Bettenhausenarchiv Agathof

Bis zum Ende der 1920er Jahre, als an der Pfarrstraße anschließend an die "Römerhalle" eine große Wohnanlage erbaut wurde, bildeten die Gebäude Stiftstraße 1 bis 9 die einzige bebaute Kante des Leipziger Platzes. Seit 1920 existierte hier die Endstation der Tramlinie mit einer Wendeschleife um einen kreisrunden, baumumringten Platz mit Sitzbänken. In den 1930er Jahren wurde die Stiftstraße umbenannt in Dormannweg.

Blick auf die Wendeschleife am Leipzigerplatz 1920
Die Wendeschleife am Platz ohne Namen, 1920   Foto: @Stadteilzentrum Agathof e. V.

Die Gebäude Dormannweg 1 bis 9 überstanden den Zweiten Weltkrieg - Nr. 7 und 9 sogar unbeschadet -, und die Familien der Erbauer Schmelz, Brencher, Lengemann und Heckmann betrieben hier auch in den 1950er Jahren weiter ihre Geschäfte. Zusammen mit den Läden, die sich am Rand des nach wie vor unbebauten Grundstücks in der weiten Kurve zur Ochshäuser Straße angesiedelt hatten, wurde der Platz zum Geschäftsmittelpunkt Bettenhausens. Erst 1954 erhielt dieser Verkehrs- und Geschäftsmittelpunkt im Kasseler Osten offiziell seinen Namen Leipziger Platz.

Das Foto vom Leipziger Platz zeigt den Blick in die Stadt. Auf der rechten Straßenseite, hinter dem Kiosk steht das Gebäude des T.d.O.
Das Foto vom Leipziger Platz zeigt den Blick in die Stadt  Foto: Bartel, Kassel 1955

1992 entstand in der Kurve Leipziger / Ochshäuser Straße ein Geschäfts- und Ärztehaus mit angeschlossenem Parkhaus. Der Leipziger Platz wurde erneut umgestaltet: der Straßenabschnitt Dormannweg 1-9 wurde der Platzfläche zugeschlagen und zur Fußgängerzone gemacht, und es wurde ein Springbrunnen angelegt.

Blick auf Springbrunnen am Leipziger Platz, dahinter die Häuser Dormannweg 7-9 und parkende Autos
Springbrunnen am Leipziger Platz vor den Häusern Dormannweg 7-9, 1990er Jahre  Foto: Stadtteilzentrum Agathof e.V.

2006 wurde die Firma Möbel-Salomon in der Leipziger Straße 207-209, für die Ende der 1970er Jahre das ehemalige Gasthaus Belz und das "Colonialwaren-Viereck" abgerissen worden waren, geschlossen; das Möbelkaufhaus, ohnehin in Dimension und Gestaltung ein Fremdkörper in der Umgebung, steht seitdem leer bzw. wird von der Stadt Kassel als Lager genutzt.

Hausfront der Fa. Petzing und Hartmann, 1998, Leipziger Str. 158,
Hausfront der Fa. Petzing und Hartmann, 1998, Leipziger Str. 158,  Foto: K.-P. Wieddekind, Kassel, 1998

Nach dem Wegzug der Firma Petzing und Hartmann, die seit 1922 in der Leipziger Straße 158 Holzschnittbandsägen produziert hatte, standen das Fachwerk-Verwaltungsgebäude und die Produktionshallen zehn Jahre lang leer, bevor sie von dem benachbarten Autoverkäufer erworben und die rückwärtigen Produktionsgebäude 2014 abgerissen wurden, um Platz für Autoabstellflächen zu schaffen. Auch das an der Leipziger Straße gelegene Fachwerkhaus sollte nach dem Willen des Besitzers abgerissen werden, was zum Glück verhindert werden konnte; in der Folge wurde eine Sanierung begonnen, jedoch nicht beendet, und das Gebäude steht nach wie vor leer.

Dormannweg 7-9 davor das Kiosk Leipziger Treff, 2004
Dormannweg 7-9 davor das Kiosk Leipziger Treff, 2004  Foto: K.-P. Widdekind

Seit Anfang 2022 wurde mit dem Abriss der Gebäude Dormannweg 9 und 7 die in weiten Teilen aus der Erbauungszeit um 1900 erhaltene Kante des Leipziger Platzes zerstört. Die Häuser, die das Gesicht des Platzes fast 120 Jahre lang prägten, standen unverständlicherweise nicht unter Denkmal- oder auch nur Ensembleschutz. Für eine Neubebauung wäre eine ansprechende, sensible Gestaltung unter Einbeziehung der Bettenhäuser Bevölkerung wünschenswert; das Stadtplanungsamt hat jedoch nach eigener Aussage hier keine Einflussmöglichkeit.

Leipziger Platz 07.2007
Luftbild Südseite Leipziger Platz 2007  Foto: Stadt Kassel

Es bleibt zu hoffen, dass weitere Abrisse historischer Bausubstanz in Bettenhausen verhindert werden können.

Text: Sabine Wachsmuth

Editor: Erhard Schaeffer, Juli 2023

Quellen:

  • Geschichtskreis "Bettenhausen früher und heute", Stadtteilzentrum Agathof e. V.
  • Stadtarchiv Kassel
  • Adressbücher der Stadt Kassel

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Kurzbeschreibung

Der Leipziger Platz in Bettenhausen ist im Jahr 2023 wegen eines Streits um die Bepflanzung ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt. Über diese ,Rabatten-Debatteʻ geriet ein anderes Thema in den Hintergrund: der Abriss zweier historischer Gebäude und da mit die Zerstörung der ursprünglichen nördlichen Platzkante. Ein Anlass, sich mit diesem Ort zu beschäftigen.

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