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8. April 1926, ein Tag in der Geschichte von Kassel

Blick über die Fulde, Feuer und Rauchwolken über der Vogtschen Mühle

Großbrand im Jahr 1926: Die historische Aufnahme zeigt die Vogt’sche Mühle. Unten links kann man die Aufschrift Finkenherd unter einem der Nachbarhäuser lesen.
Foto: HNA © Archivfoto: Germandi/nh

Zwei Ereignisse im April 1926 in Kassel, das sich durch die Änderung der Schreibweise seit diesem Jahr mit „K“ statt mit „C“ schrieb, sind vielen Bewohnern in Erinnerungen geblieben. Obwohl die Geschehnisse nicht unterschiedlicher hätte sein können, waren sie doch prägend für die weitere Entwicklung der Stadt. In den damaligen Nachrichten vom Tage wurden über beide besonders ausführlich berichtet.

Um 10 Uhr des 8. April 1926 brach in der Vogtschen Mühle an der Weserstraße ein Feuer aus, dass sich schnell zum Großbrand entwickelte. In wenigen Minuten waren beide Züge der Feuerwehr Kassel, sowohl der Nebeltaustraße als auch der Mauerstraße, zur Stelle. Der Brand beschäftigte die Wehrmänner aller eingesetzten Feuerwehren, die Sanitäter und die Beamten der Polizei noch Stunden danach.

Etwa zur selben Zeit sollte auf dem Waldauer Flughafen der Internationale Luftverkehr für Kassel eröffnet werden. Dazu waren die Honoratioren des Kasseler Magistrats, die Vertreter der Reichsbahndirektion und der Oberregierungsrat von Kassel geladen. Die örtliche und überörtliche Presse war zahlreich am Flughafen erschienen um über dieses besondere Ereignis berichten zu können.

Die Vogtsche Mühle in Flammen

Beim Eintreffen der Feuerwehr hatte sich das Feuer im Hof gelegenen Mahlhaus bereits ausgebreitet. Dies konnte deshalb so schnell geschehen weil die verschiedenen Böden durch viele Beförderungsrohre und Elevatoren (sie förderten das Mahlgut) aus Kiefernholz miteinander verbunden waren. Ein einziger elektrischer Funke mit dem überall vorhandenen Mehlstaub in Verbindung gebracht, konnte vermutlich den Mühlenbrand verursachen. Das große Mahlhaus stand deshalb vollständig in Flammen, die aus sämtlichen Fenstern heraus schlugen und senkrecht in die Höhe loderten. Durch drehende Winde bereitete sich die riesige Rauchwolke in allen Richtungen aus. Alle Zugangsstraßen wurden durch die Polizei sofort gesperrt. Die Feuerwehr sah ihre Aufgabe vor allem darin das Übergreifen auf den Kornspeicher zu verhindern, sonst würden große Vorräte ein Raub der Flammen. Die Angriffe der Wehrmänner gegen das wütende Element erfolgten über die Landseite von der Weserstraße als auch über die Wasserseite vom Finkenherd aus. Trotzdem Stürzte der Dachstuhl des Mahlhauses ein. Ein Feuerwehrmann wurde beim Einstürzen eines Glasdaches verletzt. Der Sanitätsdienst übernahm sofort die Versorgung.

Feuerwehrleute im Einsatz mit Leitern an der Vogtschen Mühle, Brand 1926
Feuerwehrleute im Einsatz bei dem Brand der Vogtschen Mühle 1926  Foto: ORKA (Open Repository Kassel) https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:hebis:34-02010011971636/fragment/page=1

In den Nachrichten ist später folgendes zu lesen:

Gegen 12 Uhr ; Der eingestürzte Dachstuhl und ein großer Teil der Mauern hat die Turbinenhäuser, die unterhalb der Brücke stehen, durchschlagen. Das Feuer, das auch im Mahlhaus fast gedämmt erschien, bricht mit großer Gewalt im Kornraum zum großen Kornspeicher vor….. Sämtliche Fenster und Schutztüren des Kornspeichers sind geöffnet um die gefährliche Mehlstaubexplosion abzuwenden.
Um 13 Uhr; wird von einem Sondermitarbeiter gemeldet, dass die Feuerwehr bemüht ist, den bekannten Turmaufbau der Vogtschen Mühle umzulegen, weil die aus diesem Turm herausschlagenden Flammen die Nebengebäude in Gefahr bringen und das Einstürzen des Turmes ebenfalls große Gefahren nach sich ziehen kann.

Weserstraße 1926 Schläuche, Fuerwehr und Polizei vor Vogtscher Mühle
Beim Brand der Mühle 1926 liegen die Löschwasser-Schläuche über die Weserstraße  Foto: ORKA (Open Repository Kassel) https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:hebis:34-02010011971643/fragment/page=1

In der Kasseler Neuste Nachrichten wird über den Schaden berichtet:

Soweit sich bis Redaktionsschluss, die Lage übersehen lässt, kann festgestellt werden, dass die Mühle vollkommen ausgebrannt ist, nur die kahlen Umfassungsmauern stehen noch. Der gewaltige Schaden ist, wie wir hören, durch verschiedene Versicherungsgesellschaften gedeckt.

Im Flugzeug über die Brandstätte

Mit dem großen Bus - Hessen - der Kraft-Verkehrsgesellschaft wurden am Morgen des 8. April 1926 Stadtrat Dr. Paulmann, Magistratsrat Dr. Theis, Verkehrsdirektor Dr. Schuhmann und andere Honoratioren zur Eröffnung der Luftfahrt zum Waldauer Flugplatz gefahren. Die Vertreter der Presse saßen ebenfalls im Auto. In Höhe der Fuldabrücke musste das Fahrzeug stoppen und die Feuerwehr passieren lassen. Beim Blick über die Fulda sahen sie wie Flammen und dichten Rauch der aus der Vogtschen Mühle quoll. Der Brand hatte schon das zweite Stockwerk erreicht, da gab es wohl keine Rettung mehr. Die Hessen setzt ihre Fahrt weiter zum Flugplatz fort.
10:30 Uhr, kurz nach planmäßiger Zeit, traf das erste Verkehrsflugzeug aus Halle ein. Die Fokker D784, von Hugo Wiskandt gesteuert, landete sanft auf der Wiese. Die Fokker war eine kleine Maschine, mit nur vier Sitzplätzen ausgestattet, mit einem W.C. und mit Einrichtungen für Ohrenwatte. Sie war von dem holländischen Flugzeugkonstrukteur Anthony Hermann Gerard Fokker entwickelt worden. Der Eindecker mit breit ausgelegten Tragflächen segelte unter der Flagge der Lufthansa, wie man sie auf der Verkleidung des Motors erkannte. Den Willkommensgruß im Namen der Stadt sprach Dr. Schuhmann vor der Imbisshalle aus.

Raab-Katzenstein Flugzeugwerk, Kl 1, Schwalbe
Raab-Katzenstein Flugzeugwerk, Kl 1, Schwalbe   Foto: Repository: San Diego Air and Space Museum Archive

Vor der Halle standen auch vier Schwalben, Flugzeuge der Kasseler Raab-Katzenstein Flugzeugwerke, die auf dem alten Munigelände in Bettenhausen ihre Werkshalle hatte. In diesem Unternehmen wurde viel flugtechnische Pionierarbeit geleistet. Ein Berichterstatter der örtlichen Presse sprach den flugbegeisterten Piloten Anton Friedrich Raab auf das Großfeuer in Kassel an und überredet ihn zu einem Rundflug über den Brandherd. Raab, er war damals einer der besten Kunstflugpiloten Deutschlands, stimmte gerne zu. Über diesen einmaligen Flug konnte man später den mitreisenden heroischen Bericht in der Kasseler Neuste Nachrichten lesen:

...und wenige Augenblicke später geht es ab, schon liegt die Fulda tief unten, die Neue Mühle, Silberschaum des Wehres und wieder der Flugplatz. ….Und dann über den Forst, über die Muni, in der Raab-Katzenstein zuhause sind. Eben wird das sechst Flugzeug, das im April abzuliefern ist, über den Hof gerollt. Raab, der hinter mir das Steuer führt, deutet abwärts nach seiner Erfolg verheißenden Gründung. Blauer Rauch schwelt entgegen. Jetzt hält das schlanke schöne Flugzeug, das saubere, in dem es keine Ölspritzer gibt, keine Nässe strengen Kurs auf die rote Flamme ein….Und schon sind wir da, schwarze Sparren in lohender Glut, züngelnde Flammen, der Rauch, der uns, die wir tief abwärts gegangen sind und immer und immer wieder die Brandstätte umkreisen, umloht, beißt trotz der Schutzbrille in den Augen…..Alle Straßen sind weit abgesperrt. Deutlich erkenne wir die Schupo, die in starkem Aufgebot der Feuerwehr Freiraum verschaffen. Über die Weserstraße liegt ein Gewirr von Schläuchen. Ein mächtiger Wasserstrahl von der Straße aus bis in die oberen Stockwerke. Und immer wieder schießt aus den öde gewordenen Fensterhöhlen die rote Flamme….die grausige. Vom Rauch umflort liegt die helle Anlage des Finkenherdes. Ein schauriger, ein wilder Anblick.

Nach einigen Kreisen um den Brandherd drehte Raab mit seiner Schwalbe ab um wieder nach Waldau zu fliegen. Aber auch da zeigte er laut Berichterstatter noch einmal sein Können in dem er einige Looping über dem Platz vollzog und dann glatt landete.

Die Fokker D784 war inzwischen zum Flug nach Dortmund gestartet. Eine Junkers-Maschine mit Tragflächen unter dem Rumpf und ebenfalls vier Plätzen landete aus Frankfurt kommend kurz danach. Junkers Luftverkehr hatte Waldau in das internationale Streckennetz von Europa eingebunden und in das Liniennetz der Deutschen Lufthansa AG aufgenommen.Die Eröffnung des Flugverkehrs 1926 in Kassel war trotz der dramatischen Begleitumstände ein voller Erfolg.

Lufthansa auf Waldauer Flughafen 1927
1926, die erste Maschine der Deutschen Lufthansa landet in Waldau  Foto: @Stadtteilzentrum Agathof e.V.
Wie ging die Entwicklung weiter?

Als die Stadt Kassel im April 1930 nicht mehr bereit war, einen Zuschuss zum Betrieb zu zahlen, wurde der Linienverkehr in Waldau eingestellt. Der Flugplatz diente aber weiter dem Kunst- und Sportflug mit Schaufliegen und Volksfestvorführungen als sicherer Start- und Landeplatz. Auch das Luftfahrtschiff Graf Zeppelin landete später dort. Gerhard Fieseler, der Meister des Kunstfluges, benutzte den Flugplatz mit seinen in den Gerhard-Fieseler-Werke-GmbH gebauten Militärflugzeugen.

Die niedergebrannte Mühle wurde von seinem Besitzer Otto Vogt, der aus einer Kasseler Bäckerfamilie stammte, wieder als Kornmühle vollständig aufgebaut und sie produziert aus Fullewasser mit Hilfe mehrerer Turbinen auch elektrischen Strom, der in das Kasseler Netz floss. Vogt sicherte sich die Stau- und Wasserrechte. Doch die Bomben des Zweiten Weltkrieges zerstörten sie allerdings ein zweites Mal völlig.

Text und Editor Erhard Schaeffer, Dezember 2023

Quellen:

  • Industrie und Gewerbe in Kassel, Thomas Siemon HNA 11.08.2015

  • Zeitschrift-Flugsport/online-archiv, 1925

  • www.deutsche-biographie.de/pnd119211572.html Fokker

  • Raab-Katzenstein Flugzeugwerk, Kl 1, Schwalbe, Repository: San Diego Air and Space Museum Archive

  • Kasseler Neuste Nachrichten Jahrgang 1926

  • 100 Jahre Berufsfeuerwehr Kassel, Giller, Mierke, Petig,1991

  • HNA © Archivfoto: Germandi/nh

  • ORKA (Open Repository Kassel).html , Vogtsche Mühle

Kurzbeschreibung

Zwei Ereignisse im April 1926 in Kassel, das sich durch die Änderung der Schreibweise seit diesem Jahr mit „K“ statt mit „C“ schrieb, sind vielen Bewohnern in Erinnerungen geblieben. Obwohl die Geschehnisse nicht unterschiedlicher hätte sein können, waren sie doch prägend für die weitere Entwicklung der Stadt. In den damaligen Nachrichten vom Tage wurden über beide besonders ausführlich berichtet.

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