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Persönlichkeiten die in der Unterneustadt zu Hause waren

Das Bild zeigt eine Nachbildung der Unterneustadt um 1766

Foto: Stadtarchiv Kassel

Die Unterneustadt war bis zur tragischen Bombennacht im Oktober 1943, mit ihren fast 13.000 Einwohnern, das am dichtesten besiedelte Quartier der Stadt. Geteilt durch den Fuldastrom in zwei ungleiche Hälften, entwickelte sich für die Bewohner ein Gefühl der Zusammengehörigkeit, dass sich vorteilhaft von ihrer stolzen Schwester, am linken Fuldaufer unterscheidet. Auch die Bedrohung durch die vielen Hochwasser stärkte wohl das Gemeinschaftsgefühl der Unterneustädter.

Urkundlich wurde die Unterneustadt am 17. Mai 1283 erstmals erwähnt, obwohl die Neustadt wie sie bis 1690 hieß, zweifellos älter ist. Die Bezeichnung „Dörfchen", wie sie die Kasseler liebevoll nennen, hat viele Interpretationen. Die wahrscheinlichste ist die Vorstellung eines abgeschlossenen Gemeinwesens, das man mit Behaglichkeit und Gemütlichkeit verbindet. Am Saum einer größeren Stadt gewährt das einen poetischen Reiz, nicht nur deshalb stammt auch der ursprünglichste Kasseler Dialekt die „Fullebriggensprooche", aus diesem Stadtteil.

In seinen Mauern lebten viele Kasseler Heimatpoeten und Kasseler Persönlichkeiten, wie zum Beispiel Philipp Scheidemann , Elisabeth Selbert oder Karl Branner . Die einen erblickte hier das Licht der Welt, die anderen bevorzugten das preiswerte Wohnquartier und starteten hier ihre berufliche Karriere.

Philipp Scheidemann Skizze
Philipp Scheidemann Skizze  Foto: @ http://www.stadt-kassel.de/stadtinfo

Bereits 1521 wurde vom ersten evangelischen Pfarrer Johannes Erhardt Angrundt, in der Magdalenenkirche die erste Messe in deutscher Sprache gelesen. Beeinflusst von Philipp Melanchthon , der oft Pfarrer Angrundt besuchte und in der Magdalenenkirche predigte und Taufen vornahm. Geschichtliche Spuren hinterließen auch im 14. bzw. 15. Jahrhundert, die Familien Langschenkel und die von Berlepsch.

Stadtgeschichte schrieben auch die Bürgermeister Johannes Schaffrath (1546-1550), Dr. Hieronymus Jungmann im 30- jährigen Krieg und George Beza (1680-1684).

Der Topograph Wilhelm Dilich wohnte in der Mühlengasse, wo auch sein Sohn Johann Wilhelm Dilich ( Festungsbaumeister) 1600 geboren wurde

Historisches Bild des Geographus und Historicus Wilhelm Dilich von 1637
Topograph Wilhelm Dilich, Porträt aus dem Jahr 1637  Foto: Stadtarchiv Kassel

Der Anatom Samuel Thomas Soemmering arbeitete und wohnte in den 7 Jahren seiner Tätigkeit in der Anatomie am Unterneustädter Kirchplatz. Sein Freund der Naturforscher Georg Forster wohnte in der Waisenhausstraße.

Ende des 18. Jahrhunderts vollzog sich durch die neue Brücke, den Abriss des Stadtwalls und der Entstehung neuer Straßen und Plätze, eine neue städtebauliche Veränderung. Mit dem geschäftlichen Stadtteilzentrum dem Holzmarkt entstand eine neue soziale Eigendynamik der Bevölkerungsstruktur, ohne das „Das Dörfchen" seine Eigengesetzlichkeit einbüßte.

Der in der Unterneustadt geborene Baumeister Johann Andreas Engelhardt baute 1794 die Wilhelmsbrücke und im Stadtteil entwickelte sich ein gewerbliches Unternehmertum, das teilweise weit über die Grenzen Kassels bekannt wurde.

In der Bettenhäuser Straße entwickelte der Schwarz- und Schönfärber Johann Justus Engelhardt 1763, den Blaudruck und gilt als Erfinder des „Casseler Blau”, es waren die Anfänge der Kadruf AG. Aus der Produktionsstätte der Firma Siegfried Hirsch , entstand einer der großen Federstahlfabriken in Deutschland.

Ernst Koch erfand in der Pulvermühle den „Hessischen Zement", das Patent übernahm später die Firma Dykerhoff. Die Gebrüder Arwed und Richard Hahn am Unterneustädter Kirchplatz gelten als Erfinder des jetzigen Zeiss Ikon Sicherheitsschlüssel und 1872 gründeten Friedrich Stahl und Carl Nölke in der Wallstraße eine Zündholzfabrik, die später den ersten Platz unter den deutschen Zündholzfabriken einnimmt.

Stahl & Nölke Zündholzfabrik
Briefkopf Fa. Stahl und Nölke AG  Foto: @Stadtteilzentrum Agathof e.V.

Interessant ist die Entwicklung der Unterneustadt im neunzehnten und in den Anfängen des zwanzigsten Jahrhunderts. Unabhängig voneinander wird die Unterneustadt zu einer Stätte innovativer Unternehmer und einer lokalen literarischer Heimatkultur. Die sozialen Verhältnisse und die Dichte der Wohn- und Lebensverhältnisse, preiswerte Wohnungen waren die Grundlagen einer jungen, sich neu findenden intellektuellen Gesellschaft.

Teilweise Haustür an Haustür wohnten der Bibliothekar Dr. Hugo Brunner und der Maler und Mundartdichter Wilhelm Lüttebrandt. Sprachsammler August Grassow wohnte in den späteren Jahren auf demselben Korridor mit dem jüngeren Stadtarchivar Dr. Robert Friderici in der Leipziger Straße 17. Die „Pvunzel" Maler Theo und Fritz Matthei waren Nachbarn des Komponisten und Schriftsteller Gottlob Theuerkauf und dem späteren Zwehrener Bürgermeister Georg Fladung, am Unterneustädter Kirchplatz. Hermann Elsebach, bekannt als Christejahn Duckefedd wurde in der Leipziger Straße geboren.

Ein waschechter Unterneustädter war das Kasseler Original Adam Ernst, Kupille genannt, er wurde in der Kreuzstraße geboren.

Zeichnung des Kasseler Orginals Adam Ernst, genannt Kupille
Adam Ernst, genannt Kupille  Foto: Stadtarchiv Kassel

Der Sanitätsrat und Armenarzt Dr. Karl Schwarzkopf Verfasser vieler Aufsätze über das alte Cassel, wohnte zwar an der Fuldabrücke, führte aber von allen Wohlfahrtsausschüssen der Unterneustadt den Vorsitz.

In der Bombennacht am 22. zum 23. Oktober 1943 löschten die Bomben die Gesellschaftsstrukturen der alten Unterneustadt aus, übrig blieb nur die Erinnerung.

 

Editor: Gerhard Böttcher, März 2013

Quellen:

  • Bilder Stadtarchiv
  • Adressbücher Cassel
  • Kasseläner Klassik von Hans Römhild

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Kurzbeschreibung

Die Unterneustadt war bis zur tragischen Bombennacht im Oktober 1943, mit ihren fast 13.000 Einwohnern, das am dichtesten besiedelte Quartier der Stadt. Geteilt durch den Fuldastrom in zwei ungleiche Hälften, entwickelte sich für die Bewohner ein Gefühl der Zusammengehörigkeit, dass sich vorteilhaft von ihrer stolzen Schwester, am linken Fuldaufer unterscheidet. Auch die Bedrohung durch die vielen Hochwasser stärkte wohl das Gemeinschaftsgefühl der Unterneustädter.

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