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Die Plünderung des Bahnhofs Bettenhausen

Soldaten vor dem zerstörten Bahnhof Bettenhausen, 1943

"Ab von Kassel" Bahnhof Bettenhausen, 1943
Foto: Koch/Schmidt, Verlag Vogt, Hess. Lichtenau 1993

Dramatische Stunden erlebte Else Zuschlag bei der Plünderung des Bahnhofes Bettenhausen 1945. Ihr Mann wurde angeschossen - hatte aber noch mal Glück. Else Zuschlag war Mitglied in der Arbeitsgruppe "Bettenhausen früher und heute" im Stadtteilzentrum Agathof. Sie schildert hier ihre Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg.

Am Bahnhof Bettenhausen, der durch den Bombenangriff vom 22.10.1943 teilzerstört war, stand ein Lebensmitteltransport und mein Mann ist auch hin. Wie nun die Leute da die Lebensmittel von den Waggons geholt haben, kam ein Wagen mit Polizisten dazu. Die haben das beobachtet. Der Anführer von denen hieß Wiesoky. Der hat nun seinen Leuten befohlen, auf die Plünderer zu schießen. Die haben sich aber geweigert, und da hat der Wiesoky selber mit der Pistole auf die Leute an den Waggons das Feuer eröffnet.

Ich war zu Hause und da kamen die Kinder und sagten: Der Papa ist erschossen worden. Ich sag noch: Das kann nicht sein. Doch, sagen die Kinder, der Papa ist am Bahnhof erschossen worden. Da bin ich dann hin. Die ganzen jungen Männer aus der Leipziger Straße waren da. Mein Mann stand da und hielt sich so an der Seite. Oben stand noch der auf dem Wagen mit der Pistole. Ich fragte meinen Mann was los ist und der sagt: Das Schwein hat auf mich geschossen. Da hab ich gesagt: Komm erst mal hier weg aus der Gefahrenzone.

Wir sind also die Straße runtergegangen, als uns der Kolonnenarzt Dr. Horn mit seiner Frau entgegenkam. Dr. Horn meinte: Am Bahnhof sollen Lebensmittel zu holen sein - da wollten wir auch mal schauen, ob wir was mitnehmen können. Wir haben dem Dr. Horn die Verwundung gezeigt, und da sah man auch hinten die Austrittswunde von dem Pistolenschuß. Ich hatte ja meinem Mann eine Brieftasche geschenkt und davon war die Kugel nach unten abgelenkt worden. Dann noch die Klips von den Hosenträgern - der Dr. Horn meinte: Da haben Sie aber Glück gehabt, denn das Geschoß hat nur die Milz gestreift und ist wieder rausgekommen. Die Einschußwunde war auch kleiner als die Austrittsöffnung.  Ja, ja, das stimmt, das ist meist so. Ja, mein Mann hatte noch mal Glück gehabt, weil sonst hätte er zum Volkssturm gemußt wie die anderen. Die sind in den Thüringer Wald oder dort die Gegend.

Nach acht Tagen, wie wir uns da mal wieder ausziehen konnten, da findet mein Mann im Strumpf die Kugel. Den Wiesoky, den haben sie dann verhaftet und wir mußten auf die Polizeiwache zum Identifizieren. Mir haben sie gesagt: Sie dürfen nur sagen der war’s, wenn sie sich ganz sicher sind. Den Wiesok hat die ganze Sache wohl auch mitgenommen, denn der war kaum noch zu erkennen. So abgemagert war der, wo er doch auf dem Wagen noch so ein Koloß gewesen war. Später ist er unter ein Auto gekommen und da hab ich mir gedacht: Na, das ist wohl die Strafe.

Aufgezeichnet von Else Zuschlag, Mitglied der Gruppe "Bettenhausen früher und heute"

Editor: Erhard Schaeffer, 2008

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Kurzbeschreibung

Dramatische Stunden erlebte Else Zuschlag bei der Plünderung des Bahnhofes Bettenhausen 1945. Ihr Mann wurde angeschossen - hatte aber noch mal Glück. Else Zuschlag war Mitglied in der Arbeitsgruppe "Bettenhausen früher und heute" im Stadtteilzentrum Agathof. Sie schildert hier ihre Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg.

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