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Anna-Magdalenas Weihnachtsbäckerei

Falk Urlen (l) und Anna-Magdalena Becker (r) erzählen sich Weihnachtsgeschichten

Falk Urlen (l) und Anna-Magdalena Becker (r) erzählen sich Weihnachtsgeschichten
Foto: @Ramona Westhoff

Anna-Magdalena Becker wurde 1922 als sog. Donauschwäbin im "Banat" geboren. Der Banat war wie Ungarn und Tschechien ein Teil der Österreichisch-ungarischen Monarchie, die im Jahr 1918 aufgelöst wurde, es entstanden danach 18 Länder, so z. B. die Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien und Österreich. Anna-Magdalena landete im rumänischen Teil, sie lebt heute in Kassel und ist im Stadtteilzentrum Agathof in Bettenhausen aktiv. Sie gab mir bei der dortigen Weihnachtsfeier ihre  Weihnachtserinnerungen. 

Nachtrag: Sie starb im Jahr 2018

 

Meine Weihnachtsgeschichte

Als ich noch ein Kind war begann für mich mit den Tagen vor Weihnachten die aufregendste Zeit des Jahres. Dann kamen meine Großeltern aus der Tschechoslowakei zu uns auf Besuch ins Banat, nach Rumänien. Ich liebte meine Großmutter, denn sie brachte etwas mit, das ich am meisten vermisste: Zeit - nur für mich - unendlich viel Zeit. Ich war ein Einzelkind und alle Anderen hatten nie Zeit für mich. Alle waren beschäftigt mit Geldver­dienen!

Meine Eltern hatten ein Universalgeschäft, in dem man alles kaufen konnte, was man brauchte. Vater kaufte die Waren ein und war immer unterwegs in den umliegenden Dörfern: Mutter bediente die Kunden und ein Lehrling schleppte dauernd etwas aus dem Lager oder in den Keller. Ich stand immer überall allen im Wege. Wir hatten ein Dienstmädchen das kochte und die vie­len Zimmern sauber machte und ich hatte ein kleines ungarisches Kindermädchen. Aber auch diese stupsten mich höflich zur Seite. Mein Kindermädchen war erst 16 Jahre alt. Ihre Familie hatte sie zu uns gebracht, zum Geldverdienen und um einen Esser weni­ger zu füttern. Sie half mir beim Waschen und Baden, wusch und bügelte meine Kleider, passte auf, dass ich meinen Teller leer aß und weinte heimlich, wenn sie Heimweh hatte. Ich mochte sie nicht, weil sie ständig hinter mir her war und wenn ich dreckig war wurde sie gescholten, nicht ich. Für Fragen hatte sie weder Zeit noch Lust.

Aber wenn Großmutter kam, war alles anders und gut. Sie übernahm jedes Mal die Weihnachtsbäckerei und ich als Einzige durfte ihr dabei helfen. Das Schönste war, wenn wir die vielen Plätzchen machten. Dafür gab es ein dickes Heft mir vielen Rezepten mit Großmutters Handschrift.

Zuerst wurden auf der alten Küchenwaage alle Zutaten gewogen. Großmutter legte in die eine Schale große und kleine Gewichte und ich schüttete Mehl und Zucker solange in die zweite, bis die beiden Zünglein still standen. Großmutter wog noch einen großen Kloß Butter. Nun kam der aufregendste Teil: 5 Eigelb. Nach einigen missglückten Versuchen lernte ich das Eiweiß vom Eigelb zu trennen. Der Teig, der unter Großmutters kräftigen Händen ent­stand, wurde durchgewalkt, einige Mal auf das Backbrett geworfen und kaltgestellt. Er muss jetzt ruhen, sagte sie.

Als der Teig endlich ausgeruht hatte, wurden die Plätzchen aus­gestochen. Mir gefiel am besten der kleine Tannenbaum, den ich mit Zuckerguss bepinseln durfte. Die anderen Plätzchen verzier­ten wir mit Nusskernen, Orangeade oder flüssiger Schokolade.

Bis zum Weihnachtsfest füllten wir drei große Blechdosen mit Weihnachtsbäckereien. Alle lobten uns, als sie endlich davon essen durften. Viel zu schnell vergingen diese herrlichen Tage und als meine Großeltern wieder nach Hause fuhren, war ich sehr traurig. Aber nicht lange, denn bald danach kam ich in den ungarischen Kindergarten und mein Leben veränderte sich radikal. Ich lernte Gaby kennen, meine beste Freundin. Aber das ist bereits eine andere Geschichte!

Autorin: Anna-Magdalena Becker

Fotos: Ramona Westhoff, Ruth Rudolph

Editor: Falk Urlen, Dezember 2014

Weihnachtsplätzchen
Weihnachtsplätzchen  Foto: @Ruth Rudolph

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Kurzbeschreibung

Anna-Magdalena Becker wurde 1922 als sog. Donauschwäbin im "Banat" geboren. Der Banat war wie Ungarn und Tschechien ein Teil der Österreichisch-ungarischen Monarchie, die im Jahr 1918 aufgelöst wurde, es entstanden danach 18 Länder, so z. B. die Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien und Österreich. Anna-Magdalena landete im rumänischen Teil, sie lebt heute in Kassel und ist im Stadtteilzentrum Agathof in Bettenhausen aktiv. Sie gab mir bei der dortigen Weihnachtsfeier ihre  Weihnachtserinnerungen. 

Nachtrag: Sie starb im Jahr 2018

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