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Am Tag als das Wasser kam

Blick auf die Kreuzung Ochsh. Str./Forstbachweg am 21.05.2019 vormittags.

Blick auf die Kreuzung Ochsh. Str./Forstbachweg am 21.05.2019 vormittags.
Foto: @ YouTube

Der Regen war schon gekommen. Es war die Nacht vom 20. auf den 21. Mai 2019, die ganze Nacht prasselte der Regen auf die Lichtkuppeln des Bungalows, das ist normalerweise ganz gemütlich; heute aber war es schon sehr intensiv und vor allem: ununterbrochen. Für uns gab es keinen Grund zu Befürchtungen, wir lagen ziemlich weit weg vom Wahlebach, der in seiner Au im neuen Bett normalerweise langsam vor sich hin mäandert. Manchmal war er schon ganz schön hoch, aber bis zu uns war der Weg doch ziemlich weit.

Um 6 Uhr morgens wurden wir dann aber durch langes und mehrmaliges Klingeln zäh aus dem Bett gerissen. Vor der Tür  stand unsere Nachbarin, die immer sehr früh zur Arbeit muss. Sie rief uns nur zu, dass der Wahlebach über die Ochshäuser Straße auf uns zu kam. Und tatsächlich, ein Blick in unseren Garten zeigte, dass der hintere Teil an der Kreuzung Ochshäuser Straße/Forstbachweg bereits unter Wasser stand.

Der Wahlebach an normalen Tagen
Der Wahlebach an normalen Tagen  Foto: @Hans-Peter Pütz

Noch waren wir ganz ruhig, denn wir glaubten nicht, dass das Wasser sich den Weg in unser Wohnzimmer suchte und einen Keller hatten wir nicht - also kein Grund zur Aufregung. Doch das Wasser kam unaufhörlich näher, Zentimeter um Zentimeter stieg es an.  Ein Anruf bei der Feuerwehr war zwecklos, hier wurde er erst gar nicht abgenommen. Als es dann doch geschah hieß es nur, dass sie an anderer Stelle bereits voll ausgelastet seien.

Das Wasser steigt im Garten an
Das Wasser steigt im Garten an  Foto: @ Falk Urlen
Noch wird das Wasser durch die Schiebetür zurückgehalten
Noch wird das Wasser durch die Schiebetür zurückgehalten  Foto: @ Falk Urlen

Bevor wir es aber versahen, war unser Haus gefüllt mit Nachbarn, alle bewaffnet mit Eimern, Besen und Putztüchern. Auf der Terrasse öffneten wir den Zugang zur Kanalisation und es entstand hier bald ein intensiver Strudel, in den sich die braune Brühe ergoss, aber nicht lange; denn bald reichte dieser Abfluss nicht mehr aus, wir schlossen die Schiebetür und sahen durch die Scheiben, wie das Wasser draußen vor der Tür immer höher stieg und plötzlich quoll es unter den Türen in die Zimmer. Zunächst nahmen die dort liegenden Teppiche die Flüssigkeit noch auf, dann aber übernahm der Lehmschlamm das ganze Zimmer, überall aus dem Marmorfußboden stiegen Luftblasen auf, also füllte sich das ganze Haus unter dem Fußboden mit diesem braunen Dreck. Das Aufnehmen des Wassers mit Feudeln führte zu keinem Ergebnis, man konnte nur teilnahmslos danebenstehen und einige Stühle in Sicherheit bringen

Stromschnellen auf der Ochshäuser Straße
Stromschnellen auf der Ochshäuser Straße  Foto: Falk Urlen

Hinter unserem Haus strömte jetzt ein gewaltiger Fluss dort, wo sonst die Ochshäuser Straße war. Absperrbaken schwammen hier erhobenen Hauptes mit ihm auf die Autos zu, die sich vor der Singerstraße verkeilt hatten und so den reißenden Strom zum Teil in die Singerstraße umlenkten.

Anwohner holen sich Sand vom Schröderplatz
Anwohner holen sich Sand vom Schröderplatz  Foto: Sylvia Dieterich

In der Singerstraße holten sich die Betroffenen und viele Helfer mit Schubkarren und Säcken Sand aus dem Sandkasten auf dem Schröderplatz, der gerade neu aufgefüllt worden war.

Zentimeter um Zentimeter rückte das Wasser vor
Zentimeter um Zentimeter rückte das Wasser vor  Foto: Falk Urlen

Neben dem Haus schlich sich das Wasser langsam aber sicher den etwas schrägen Weg in Richtung Eingangstür voran. Wenn es diese erreichte, dann wäre das Haus auch von vorne den Fluten ausgesetzt. Zentimeter um Zentimeter stieg es an, ein quer gelegter Balken konnte es nicht hindern.

Grundstück Venus in der Stegerwaldstraße
Grundstück Venus in der Stegerwaldstraße  Foto: Wolfgang Venus

Wir hatten noch Glück im Unglück, andere Forstfelder, zumindest die, die Keller und tief gelegte Garagen hatten, traf es wesentlich heftiger, zumal die meisten keine Elementarversicherung abgeschlossen hatten. Hier ein Bild aus der Stegerwaldstraße.

 

 

Langsam zieht sich das Wasser wieder zurück
Langsam zieht sich das Wasser wieder zurück  Foto: Falk Urlen

Endlich gegen Mittag stieg das Wasser nur noch ganz langsam und ging plötzlich sogar zurück, und das immer schneller, leider war ein Teil des Wassers jetzt im Haus gefangen und suchte sich weiter seinen Weg unter den Fußboden. Ein Nachbar brachte eine Pumpe, unsere war im Wasser versunken, ein anderer Nachbar schleppte schon Teppiche nach draußen und begann, den zurückgelassenen braunen Lehm  zu entfernen, damit der erst gar nicht fest wurde. Am Nachmittag war die Wohnung bereits wieder wasser- und schmutzfrei.

Chaos im Gartenschuppen
Chaos im Gartenschuppen  Foto: Falk Urlen

In den nächsten Tagen waren die Aufräumarbeiten dann sehr unangenehm, da sich in den Schuppen eine mehrere Zentimeter starke stinkende Lehmschicht unter die hier abgestellten Geräte und Plastikbehälter geschoben hatte. Wenngleich die Plastikkisten wasserdicht waren, geschah es aber dann doch, dass diese durch die Flut 20 cm angehoben wurden und dann umkippten, um sich dann endlich doch noch mit Wasser zu füllen.

Bücher, CDs, DVDs - nur noch Unrat
Bücher, CDs, DVDs - nur noch Unrat  Foto: Falk Urlen

Den ganzen nassen und verschmutzten Unrat lagerten wir dann auf einem feuchten Schuttberg, hunderte Bücher, DVDs, CDs, Spiele, Spielzeug, Fotoalben und Kleidungsstücke. Die Stadtreiniger nahmen unbürokratisch alles mit, was in Säcken vor die Tür gestellt wurde. Nachts schütteten dann Sammler die am Abend hingestellten Säcke wieder aus und durchwühlten den Inhalt, ließen dann aber alles liegen. Also musste noch einmal gepackt werden.

Fotoalben wurden getrocknet und restauriert. Die Schuppen waren immer noch zentimeterhoch mit Schlamm bedeckt, der jetzt mit Hochdruckstrahlern und Schubkarren auf eine Parkplatte gebracht wurde.

Die Stadtreiniger nahmen alles mit, was man vor die Tür stellte.
Die Stadtreiniger nahmen alles mit, was man vor die Tür stellte.  Foto: Falk Urlen

Vor der Tür waren die Bürgersteige bereits vom Schlamm befreit. Der gleiche Schlamm lag jetzt auch auf einem Berg innerhalb des Grundstücks. Den wollte ich jetzt zum Recyklinghof bringen. Ich vergewisserte mich dort noch einmal, ob das möglich wäre, die Antwort war niederschmetternd. Zunächst sollte ich ein Gutachten für 400 € in Auftrag geben, um den Schlamm dann für ca. 1000 € in einem wasserdichten Spezialcontainer entsorgen zu lassen, obwohl es der gleiche Schlamm war, der zuvor noch in die Kanalisation floss. Ich habe ihn dann für einige Euro bei einem Bauschuttabnehmer entsorgt.

Die Aufräumarbeiten dauerten ungefähr zwei Wochen. Danach begann das lange Warten:

· auf die Versicherungsvertreter

· auf die Teppichreiniger

· auf die Bodentrockner

· auf das Ende der Trocknung nach 5 Wochen

· auf die Entsorgung der Möbel

· auf die Bodenreparateure

· auf die Entschädigung, wobei wir Glück hatten, dass wir eine Elementarversicherungen abgeschlossen hatten.

· auf den Maler

· auf die neuen Möbel, die schließlich ein halbes Jahr nach dem Hochwasser geliefert und aufgebaut wurden.

Beruhigend war, dass ein Gutachter meinte, man sollte sich daran gewöhnen, denn ein solches Wettereignis wiederholte sich nun alle paar Jahre.

Autor: Falk Urlen, September 2019

 

Wo spielt dieser Beitrag?

Ort: Wahlebach

Kurzbeschreibung

Nach einer Nacht mit ununterbrochenem Intensivregen trat der Wahlebach am 21.05.2019 in Ochshausen über die Ufer und ergoß sich über die Ochshäuser Straße und den Stadtteil Forstfeld. 

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