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Ich kann diese schrecklichen Bilder nicht vergessen

Kurt Plettenberg 2010

Kurt Plettenberg, Mai 2010
Foto: B. Schaeffer

Der 16-jährige Kurt Plettenberg war am 22. Oktober 1943 in der Firma Salzmann als Melder zum Luftschutzdienst eingeteilt. Die Ereignisse dieser Nacht haben ihn sein ganzes Leben nicht wieder losgelassen.

"Ich war 16 Jahre alt und befand mich in der Ausbildung bei Salzmann & Comp. in Kassel-Bettenhausen. Zusammen mit anderen Arbeitern und Angestellten war ich an diesem Abend als Melder zum Luftschutzdienst eingeteilt. Als Alarm ausgelöst wurde begaben wir uns in die so genannte Leitstelle im Keller. Nach kurzer Zeit wurde Entwarnung gegeben und wir waren froh, dass es uns nicht getroffen hatte.

Das sollte sich nach kurzer Zeit jedoch ändern! Es dauerte nicht lange und über uns brach ein Inferno herein. Es krachte rings um uns herum. Die Wände fingen an zu zittern und der Boden fing an zu beben. Die Angst stand uns ins Gesicht geschrieben. Wir waren froh, nach Ende des Angriffs, heil davon gekommen zu sein. Was wir draußen vorfanden war allerdings fürchterlich! Sprengbomben hatten Teile des Verwaltungsgebäudes zerstört. Die Weberei und benachbarte Bereiche brannten. In Unkenntnis der Geschehnisse außerhalb des Werkes, wurde ich als Melder beauftragt, zum nahe gelegenen Polizeirevier 6 zu laufen, um von dort die Feuerwehr zu alarmieren, denn das Telefonnetz war zusammen gebrochen. Das Polizeirevier befand sich in der Nähe des heutigen Platz der Deutschen Einheit.

Was ich auf dem Weg dorthin sah, ist nur schwer zu beschreiben. Die Sandershäuser Str. brannte, ausgelöst durch abgeworfene Brand- und Phosphorbomben. Die Buntpapierfabrik Bär stand in hellen Flammen. Gegenüber am Giebel eines zerstörten Hauses hing ein Bomberpilot an seinem Fallschirm und verbrannte bei lebendigem Leib. Seine fürchterlichen Schreie verfolgten mich auf meinem Weg. Am nächsten Morgen lag sein verkohlter Torso neben den Gleisen der Industriebahn. Ich kam nur bis zur Leipziger Straße. Hier schlugen die Flammen, in der damals recht schmalen Straße, von einer Straßenseite zur anderen. Mein Weg zum Polizeirevier war versperrt und an einen Feuerwehreinsatz war sowieso nicht zu denken.

Kriegszerstörungen, Salzmann u. Comp. Okt. 1943
Kriegsschäden bei Salzmann & Comp., Werk I, in Bettenhausen nach dem Angriff vom 22. Oktober 1943.  Foto: Festschrift Fa. Salzmann, 1951

Wieder zurück im Werk half ich bei den anstehenden Löscharbeiten mit. Es gelang uns die Brände unter Kontrolle zu bekommen. Am nächsten Morgen lag die Stadt Kassel unter einer Rauchglocke. Ich machte mich auf den Heimweg nach Oberzwehren, mit der Ungewissheit, ob meine Familie den Angriff unbeschadet überstanden hatte? Mein Weg führte über den Königsplatz und vorbei an unzähligen Toten, die dieser Bombennacht zum Opfer gefallen waren.
Für unseren Einsatz bekam die gesamte Gruppe das Kriegsverdienstkreuz verliehen.
Mir persönlich wäre es allerdings lieber gewesen, die Geschehnisse hätten nicht stattgefunden, denn ich kann auch nach 60 Jahren den 22.Okrober 1943 mit diesen schrecklichen Bildern nicht vergessen".

Text:

Kurt Plettenberg, Kassel, 2003

Fotos:

Archiv Bernd Schaeffer, Kassel, 2010
Festschrift Fa. Salzmann, 1951

Editor:

Bernd Schaeffer, 2010

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Kurzbeschreibung

Der 16-jährige Kurt Plettenberg war am 22. Oktober 1943 in der Firma Salzmann als Melder zum Luftschutzdienst eingeteilt. Die Ereignisse dieser Nacht haben ihn sein ganzes Leben nicht wieder losgelassen.

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